Der kleine Lord
gleich darauf
seinen gewaltigen Löwenkopf auf das schwarze Samtknie des
Jungen zu legen, der den neuen Freund gelassen streichelte, indem er
dem Grafen zur Antwort gab: »Ja, da war dann die Geschichte
mit Dick. Dick, der würde dir gefallen, der ist ein famoser
Bursche.«
Der alte Herr sah etwas verwundert drein.
»Er ist so ehrlich,« fuhr Ceddie mit
Wärme fort, »und er greift nie einen Jungen an, der
kleiner ist, als er, und die Stiefel macht er so blank, daß
sie wie ein Spiegel sind: er ist nämlich Schuhputzer,«
»Und auch ein Bekannter von dir –
hm?«
»Ein alter Freund von mir,« versetzte der
Enkel, »kein so alter wie Mr. Hobbs, aber wir kennen uns auch
schon sehr lange. Gerade ehe das Schiff abgefahren ist, brachte er mir
ein Geschenk,« dabei zog er einen sorgfältig
zusammengelegten Gegenstand aus der Tasche und entfaltete mit
zärtlichem Stolze das pompöse rotseidene Tuch mit den
geschmackvollen Hufeisen.
»Das hat er mir gegeben, das soll ich immer tragen.
Man kann's als Halstuch benutzen oder auch als Taschentuch. Er hat's
von dem ersten Gelde gekauft, das er verdient hat, nachdem Jack
ausbezahlt war und er die neuen Bürsten von mir bekommen hatte
– 's ist ein Andenken. In die Uhr für Mr. Hobbs hab
ich einen Vers schreiben lassen: ›Die Uhr, sie spricht:
Vergiß mich nicht,‹ und ich werde Dick auch nicht
vergessen; so oft ich das Tuch sehe, werde ich an ihn denken.«
Die Empfindungen Seiner Herrlichkeit des Grafen Dorincourt
waren nicht leicht zu schildern. Ein gut Stück Welt und
Menschen aller Art hatte er gesehen und war eben nicht leicht zu
verblüffen; aber hier trat ihm etwas so Neues und
Unerhörtes entgegen, daß es ihm fast den Atem benahm
und die merkwürdigste Erregung in dem alten Edelmanne
hervorrief. Er hatte sich nie mit Kindern beschäftigt; seine
Passionen und Vergnügungen hatten ihm dazu nie Muße
gelassen, und seine eignen Jungen waren ihm nie sehr interessant
gewesen – höchstens erinnerte er sich dunkel,
daß Cedriks Vater ein hübscher, kräftiger
Knabe gewesen war. Im allgemeinen war ihm ein Kind immer wie ein
höchst lästiges kleines Tier vorgekommen,
gefräßig, egoistisch und lärmend, wenn man
es nicht in strenger Zucht hielt. Seine beiden Aeltesten hatten ihren
Erziehern und Lehrern stets Grund zu Klagen und Verdruß
gegeben, und von dem Jüngsten glaubte er nur deswegen weniger
Schlimmes gehört zu haben, weil derselbe als solcher
für keinen Menschen von Bedeutung war. Daß er seinen
Enkel lieb gewinnen könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen
– er hatte ihn in sein Haus bringen lassen, weil er seinen
Namen dereinst nicht durch einen unerzogenen Lümmel wollte
lächerlich machen lassen und er überzeugt war,
daß der Junge in Amerika nur ein Halbnarr oder ein
clownartiges Geschöpf werden konnte. Er hatte an seinen
Söhnen so viel Demütigungen erlebt und war
über Kapitän Errols amerikanische Heirat so
entrüstet, daß er etwas Erfreuliches bei seiner
Nachkommenschaft nicht mehr vermutete, und als der Diener ihm Lord
Fauntleroy gemeldet, hatte er sich fast gefürchtet, den Jungen
anzusehen. Das war auch der Grund, weshalb er ihn hatte allein sehen
wollen; seinem Stolz war der Gedanke eines Zeugen seiner
Enttäuschung unerträglich. Aber selbst in den
Stunden, wo er mit mehr Hoffnung in die Zukunft geblickt, hatte er sich
nie träumen lassen, daß sein Enkel so aussehen
könnte, wie die entzückende Kindergestalt, die, das
Händchen auf dem Kopfe seines etwas gefährlichen
Lieblings, so zuversichtlich und vertrauensvoll vor ihn trat. Diese
Ueberraschung brachte den harten alten Mann schier um seine Fassung.
Und dann begann ihre Unterhaltung, in deren Verlauf sein
Erstaunen sich mehr und mehr steigerte. Erstens einmal war er seiner
Lebtage gewöhnt, die Leute in seiner Gegenwart scheu und
verlegen zu sehen, und hatte deshalb von seinem Enkel auch nichts
andres erwartet; statt dessen sah der kleine Junge in ihm offenbar
nichts als einen Freund, dessen Liebe ihm von Gott und Rechts wegen
gehörte, und behandelte ihn als solchen. Wie der kleine
Bursche so dasaß in dem großen Stuhle und mit seiner
weichen Stimme herzlich und fröhlich plauderte, ward es ihm
ganz klar, daß der Gedanke, der große, grimmig
dreinschauende alte Mann könnte ihn nicht lieb haben oder sich
nicht freuen, ihn bei sich zu sehen, nie in des Kindes Sinn gekommen
war, und daß Cedrik seinerseits ebenso
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