Der kleine Lord
vereinsamten
Freunde vorgekommen, als ob Cedrik gar nicht so weit weg sei und
stündlich wiederkehren könnte, als ob es nicht anders
sein konnte, als daß er eines Tages, von seiner Schreiberei
aufblickend, den kleinen Burschen unter der Ladenthür stehen
sehen würde, in dem weißen Anzug mit den roten
Strümpfen, den Hut im Nacken sitzend, und mit seinem hellen
Stimmchen das bekannte: »Hallo, Mr. Hobbs! Heißer Tag
heute – nicht?« rufend. Aber als ein Tag um den
andern verging und dieses erfreuliche Ereignis nicht eintrat, da wurde
es Mr. Hobbs traurig und unheimlich ums Herz. Nicht einmal an seiner
Zeitung fand er den rechten Genuß, und oft und viel legte er
das Blatt, nachdem er es durchgelesen, auf den Schoß und
blickte lange in Wehmut und trübselige Gedanken versunken auf
die hohen gespreizten Beine des Stuhles an seiner Seite, deren Anblick
ihn noch weicher und melancholischer stimmte. Trugen diese hohen
Stuhlbeine doch tiefe Eindrücke von den kleinen Schuhen des
edlen Lord Fauntleroy, künftigen Grafen Dorincourt, dessen
blaues Blut ihn merkwürdigerweise nicht abgehalten hatte, im
Eifer des Gespräches mit den Beinen zu baumeln und die
Absätze kräftig gegen das Stuhlbein zu schlagen. Wenn
Mr. Hobbs lange genug auf diese geweihten Fußspuren geblickt
hatte, dann zog er wohl die goldne Uhr aus der Westentasche,
öffnete sie und las die Inschrift: »Mr. Hobbs von
seinem ältesten Freunde, Lord Fauntleroy. Die Uhr, sie
spricht, vergiß mich nicht,« worauf er sie mit lautem
Knacksen zudrückte, tief aufseufzte und unter die
Ladenthür trat, von wo er in geschmackvoller Umrahmung durch
Kartoffelsäcke und Aepfelkisten die Straße entlang
blickte. Abends, wenn das Geschäft geschlossen war,
zündete er dann wohl seine Pfeife an und spazierte wuchtigen,
bedächtigen Schrittes bis an das kleine Haus, das Cedrik
bewohnt hatte, und das mit seinem weißen Zettel: »Zu
vermieten« gar öde und unwohnlich dreinschaute, sah
dran hinauf, schüttelte den Kopf, paffte mächtige
Rauchwolken aus seiner Pfeife und wandelte gepreßten Herzens
wieder nach Hause.
So gingen zwei oder drei Wochen dahin, ehe ein neuer Gedanke
in ihm aufdämmerte. Mr. Hobbs' Gedanken hatten stets einen
gründlichen, langwierigen Entwickelungsprozeß
durchzumachen, und wenn einmal wirklich einer ins Leben getreten war,
pflegte er ihn so unbequem zu finden, wie ein Paar neuer Stiefel.
Nachdem sich aber sein Gemütszustand in dieser Zeit eher
verschlimmert, als gebessert hatte, gedieh ein ganz nagelneuer Plan
schließlich zur Reife. Er wollte Dick aufsuchen. Es war gut,
daß er den Tabak seinem eignen Geschäft entnehmen
konnte, denn er mußte unzählige Pfeifen rauchen, bis
er zu diesem festen Entschlüsse gelangte. Er wollte Dick
aufsuchen, Cedrik hatte ihm viel von dem Freunde erzählt, und
es lebte ein unbestimmtes Gefühl in ihm, daß er
vielleicht in Dick einigen Ersatz und einige Erleichterung für
sein Mitteilungsbedürfnis finden konnte.
Als Dick eines Tages mit größter Energie die
Gehwerkzeuge eines Kunden bearbeitete, ereignete es sich, daß
ein untersetzter, stämmiger Mann mit einem runden Kopfe und
spärlichen Haaren auf dem Trottoir stehen blieb und unverwandt
Dicks Schuhputzerzeichen anstarrte und die Inschrift:
Professor Dick Tipton, Schwarzkünstler
studierte, was endlich Dicks Interesse lebhaft erregte, und
ihn, nachdem der erste Kunde einstweilen im Besitze spiegelblanker
Stiefel abgezogen war, zu der Frage veranlaßte:
»Stiefel wichsen, Sir?«
Mit entschlossener Miene trat der Mann vor und setzte den
Fuß auf die kleine Bank.
»Ja,« sagte er bestimmt.
Während Dick sein Kunstwerk mit Eifer begann, sah der
breitschulterige Mann bald ihn, bald das Schild aufmerksam an.
»Woher haben Sie das Ding?« fragte er.
»Von einem Freunde von mir,« erwiderte Dick,
»von einem Knirps. Hat mir die ganze Einrichtung geschenkt.
War der beste kleine Kerl, den's gibt. Ist in England jetzt. Soll so
ein – so ein Lord werden da drüben.«
»Lor – Lord?« fragte Mr. Hobbs mit
bedeutsamer Langsamkeit. »Lord Fauntleroy, hm?
Künftiger Graf Dorincourt?«
Um ein Haar hatte Dick die Bürste fallen lassen.
»Donnerwetter,« rief er, »Sie
kennen ihn?«
»Ich habe ihn gekannt,« versicherte Mr.
Hobbs, sich die feuchte Stirn trocknend, »seit er
überhaupt auf der Welt ist. Jugendfreunde – ja,
Jugendfreunde sind wir gewesen.«
Es verursachte ihm wirklich eine
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