Der kleine Lord
mußte. Immer bittrer wurde dies
fürchterliche Lächeln.
»Und ich,« sagte er, »ich habe die
– die andre Frau, die Mutter dieses Kindes, von mir gewiesen.
Ich habe mich geweigert, sie anzuerkennen. Und die kann doch ihren
Namen schreiben. Das ist vermutlich, was man Vergeltung nennt.«
Plötzlich sprang er auf und schritt im Zimmer auf und
ab, wilde, leidenschaftliche Reden ausstoßend. Wie der Sturm
um einen alten Eichbaum, so tobten Wut und Enttäuschung in des
alten Mannes stolzem Herzen. Es war ein entsetzlicher Anblick, und doch
entging Mr. Havisham nicht, daß er auch im wildesten Ausbruch
seines Schmerzes der kleinen schlafenden Kindergestalt nicht
vergaß und seine zornerstickte Stimme sorgsam dämpfte.
»Ich hätte es ja wissen können,
daß sie mir auch übers Grab hinaus Schande anthun
würden, die Söhne, die mir im Leben nichts andres
bereitet haben. Wie habe ich sie gehaßt und sie mich! Bevis
war der Schlimmere von den beiden. Und doch – ich will, ich
will es noch nicht glauben – ich will dagegen
ankämpfen, solange ich kann. Aber es sieht Bevis
ähnlich – es ist meines Sohnes Art.«
Dann tobte er von neuem, und immer hin und her gehend, stellte
er eine Menge Fragen in Bezug auf die Frau und ihre Beweismittel, und
dunkle Glut überzog nun das vorher aschfarbene Gesicht.
Als er zuletzt alles erfahren hatte, was zu sagen war, und
auch das Schlimmste wußte, überkam Mr. Havisham eine
große Angst, so verändert, gebrochen und
verstört sah der alte Mann aus. Seine Wutanfälle
waren jederzeit unheilvoll für seine Gesundheit gewesen,
dieser aber war gefährlicher, als alle früheren, weil
noch ein andres als Zorn und Wut dabei mitsprach.
Endlich wurde sein Schritt langsamer und dann blieb er vor dem
Sofa stehen.
»Wenn einer nur gesagt hätte, daß
ich mein Herz an ein Kind hängen könnte,«
sagte er, und die harte Stimme war schwach und unsicher, »ich
würde ihn für einen Narren gehalten haben. Ich habe
Kinder immer verabscheut – meine eignen in erster Linie. Den
Jungen habe ich lieb und er hat mich lieb. Das kann ich von wenig
Menschen sagen, aber von ihm. Er hat sich nie vor mir
gefürchtet, er hat vom ersten Augenblick an
unverbrüchlich an mich geglaubt. Das weiß ich,
daß er meine Stellung besser ausgefüllt haben
würde, als ich es je gethan habe; er hätte dem Namen
Ehre gemacht.« Er beulte sich über das
süße, friedlich schlummernde Gesicht. Die dichten
Augenbrauen waren finster zusammengezogen, aber trotzdem hätte
sein Gesicht in diesem Augenblicke niemand Furcht
eingeflößt. Er strich leise das blonde Haar von der
reinen, klaren Stirn, dann drückte er rasch auf die Klingel.
»Tragen Sie,« sagte er, auf das Sofa
deutend, zu dem eintretenden Diener, »tragen Sie Lord
Fauntleroy auf sein Zimmer.«
Seine Stimme habe sonderbar geklungen, dachte der Mann.
Zehntes Kapitel
Amerika in Aengsten
Nachdem Mr. Hobbs von seinem jungen Freunde Abschied genommen
hatte und nun von Tag zu Tage mehr zur Erkenntnis kam, daß der
Atlantische Ozean zwischen ihm und dem kleinen liebenswürdigen
Kameraden lag, fing es in der »gemischten
Warenhandlung« an trübselig auszusehen. Mr. Hobbs
gehörte weder zu den hervorragenden Intelligenzen, noch zu den
gesellschaftlichen Umgangsmenschen und hatte mit seiner
schwerfälligen Art nie viele Verbindungen anzuknüpfen
verstanden. Er war viel zu phlegmatisch, um sich auf irgend eine Weise
an Vergnügungen zu beteiligen, und seine einzige Unterhaltung
bestand im Studium der Zeitung, während seine geistige Arbeit
sich auf seine nicht gerade korrekte Buchführung
beschränkte. Letztere hatte ihre Schwierigkeiten, denn das
Addieren langer Zahlenreihen war des würdigen Mannes
Stärke eben nicht, und zuweilen dauerte es sehr lange, bis er
damit ins reine kam. In der schönen, nun für immer
dahingeschwundenen Zeit ihrer Freundschaft hatte der kleine Lord
Fauntleroy, der ganz nett auf der Schiefertafel rechnen konnte, hier
und da ausgeholfen und das saure Werk gefordert, und dann war er ein so
geduldiger aufmerksamer Zuhörer gewesen und hatte sich
für alles, was in den Zeitungen stand, aufrichtig
»'tressiert,« und wie gläubig hatte er Mr.
Hobbs' Ansichten über die Revolution und die
Engländer, die Präsidentenwahl und alle Parteifragen
entgegengenommen – kein Wunder, daß er in dem Leben
des würdigen Krämers eine gähnende
Lücke hinterlassen hatte. Anfangs war es dem
Weitere Kostenlose Bücher