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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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setzen wir uns zur Ruhe.«
    Direktor
Brausewetter erschrak bis in die Schnurrbartspitzen.
    »Sie
wollen meinen Zirkus im Stich lassen?«
    »Der
Junge übertreibt«, meinte der Jokus. »Aber zwei Monate Ferien machen wir
bestimmt.«
    Nun
werdet ihr wahrscheinlich wissen wollen, was auf dem Zettel stand. Ich habe ihn
mit eigenen Augen gesehen. Der Professor zeigte ihn mir in Lugano, während wir
auf der Terrasse Bowle tranken und auf das große Feuerwerk warteten. Also, auf
dem Zettel stand:

    2
000 000 Dollar! In DM umgerechnet sind das... Doch das kriegt ihr auch ohne
mich heraus. Jedenfalls, eine so große Menge Geld verdient man nicht alle Tage.
Auch nicht als Zauberkünstler und als kleiner Mann. Von Luftspringerinnen ganz
zu schweigen.
     
    »Dass
mir die Filmrechte gehören, weiß ich nun«, sagte Mister Drinkwater. »Und was
ich Ihnen zahlen muss, weiß ich leider auch.
    Doch
was in Ihrem verflixten Kuvert steht, das weiß ich noch nicht. Darf ich
nachsehen?«
    »Selbstverständlich«,
erwiderte der Jokus.
    »Au
Backe!«, meinte Mäxchen.
    Das
Marzipanfräulein lächelte geheimnisvoll wie eine blonde Sphinx. Direktor
Brausewetter hüpfte hoch und trabte hinter Drinkwaters Stuhl. Diesmal zitterte
er nicht vor Schreck, sondern vor lauter Neugierde. Er zitterte oft und gern.
    Der
Amerikaner riss das Kuvert auf, holte einen Zettel heraus, faltete ihn
auseinander und erstarrte.
    Direktor
Brausewetter, der ihm über die Schulter sah, verdrehte die Augäpfel und
flüsterte: »Ich falle um.« Aber dann fiel er doch nicht um, weil er sich
rechtzeitig an Mister Drinkwaters Lehnstuhl, nein, an dessen Stuhllehne
festhielt. Er ging nur ein bisschen in die Knie.
    Der
Filmgewaltige aus den USA merkte das gar nicht. Er saß noch immer starr im
Stuhl wie eine Wachsfigur in einem Wachsfigurenkabinett.
     
    Und
nun werdet ihr wissen wollen, was auf diesem zweiten Zettel stand. Auch ihn
habe ich in Lugano mit eignen Augen gesehen. Mister Drinkwater hatte ihn nicht
behalten wollen. Eine solche Blamage, hatte er geäußert, müsse man sich nicht
auch noch einrahmen und übers Sofa hängen. Na ja, ich kann ihn verstehen. Denn
der Zettel, den er aus dem versiegelten Kuvert herausgefingert hatte, sah folgendermaßen
aus:

    Mit
anderen Worten: Der Zettel war leer! Es stand keine Zahl darauf. Es stand keine
Unterschrift unter der Zahl, die nicht daraufstand. Nichts. Es war der leerste
Zettel, der jemals in ein Kuvert gesteckt wurde.
    Und
es dauerte etwa fünf Minuten, bis sich die Wachsfigur namens John F. Drinkwater
bewegte. Sie klapperte mit den Augendeckeln. Das war das erste Lebenszeichen.
    »Er
wird wieder«, stellte Mäxchen fest.
    Nach
weiteren zwei Minuten war der Amerikaner endlich sprechbereit. »Ich bin ein
Esel«, sagte er zornig. »Ich hätte mir eine der zwei Millionen sparen können,
und dann wären Sie immer noch gut weggekommen. Ein leerer Zettel! Ihr Mister
Goethe war ein gescheiter Teufel, wie der Mephisto in seinem ›Faust‹.«
    Der
Jokus lächelte. »Ein gescheiter Teufel war unser Mister Goethe nur zur Hälfte. Außerdem:
Das Kuvert und der Zettel stammen zwar von ihm, aber der Einfall, auf den
Zettel überhaupt nichts zu schreiben, der stammt von mir selber.«
    »Meinen
Respekt«, sagte Drinkwater verärgert. »Aber wenn ich nun auf meinen eigenen
Zettel, beispielsweise, nur zehn- oder zwanzigtausend Dollar geschrieben
hätte?«
    »Das
hätten Sie nie getan«, meinte Rosa Marzipan. »Sie wollten ja unbedingt die
Filmrechte haben.«
    Drinkwater
nickte. »Das ist richtig, Rosie. Trotzdem. Nehmen wir an, ich hätte es
riskiert. Ich bin ein ziemlich guter Pokerspieler.«
    »Und
ich bin ein ziemlich guter Zauberkünstler«, stellte der ’
    Jokus
fest. »Wir wussten natürlich nicht, wie hoch Sie bieten würden. Denn wir sind
Laien. Wenn Sie uns aber nur ein Trinkgeld geboten hätten, dann hätte ein
anderes Kuvert auf dem Tisch gelegen.«
    »Ein
anderes Kuvert? Wo hätten Sie das denn so schnell hergenommen?«
    »Ach
sind Sie komisch«, rief Mäxchen und zog sich vor Vergnügen an den Haaren. »Es
liegt doch längst vor Ihrer Nase!«
    Mister
Drinkwater blickte auf den Tisch. Tatsächlich. Vor seiner Nase lag ein zweites
versiegeltes Kuvert. Er bückte es an, als sei er, trotz seiner Körperlänge
(1,90 m), ein Kaninchen und das Kuvert eine Klapperschlange.
    »Schauen
Sie nach«, schlug der Jokus vor. »Lassen Sie sich nicht stören.«
    Mister
Drinkwater riss das zweite Kuvert auf, zog den Zettel 65
    heraus
und wurde

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