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Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Der Kleine Mann und die Kleine Miss

Titel: Der Kleine Mann und die Kleine Miss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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offen! Er schlich durch die Korridore. Er
stieg von Stockwerk zu Stockwerk. Es war überall dasselbe. Die Gefangenen
schliefen.
    Die
Gefängniswärter schliefen. Die Krankenschwester in der Ambulanz schlief. Die
Köchin und ihre Lehrmädchen schliefen. Der Heizer und sein Wellensittichpärchen
schliefen. Und es schliefen sogar die Fliegen an der Wand.
    Doktor
Heublein rief in seiner Verzweiflung den Polizeipräsidenten an und berichtete
stotternd die unheimliche Neuigkeit. Der Präsident brüllte in den Apparat:
»Solche Märchen können Sie Ihrer Frau Großmutter unterm Christbaum erzählen!«
Aber er begann nachzudenken. Vielleicht war es gar kein Märchen?

    Zehn
Minuten später jagte ein Dutzend Streifenwagen durch die Stadt. Die Blaulichter
rotierten. Die Martinshörner jaulten.
    Große
Dienstwagen folgten. Im ersten saßen der Polizeipräsident persönlich,
Obermedizinalrat Dr. Grieneisen, Kriminalkommissar Steinbeiß und Professor
Dickhut, der Direktor des Gerichtschemischen Instituts. Die Passanten blickten
verdutzt hinter der wilden Jagd her.

    »Warum
haben die es denn so eilig?«, fragte eine Frau mit einer schweren Einkaufstasche.
    »Vielleicht
ist bei jemandem die Milch übergekocht«, meinte ein Schuljunge, der neben ihr
stand.
    »Du
liebe Güte!«, rief sie entsetzt. »Da hab ich also schon wieder vergessen, das
Gas abzudrehen!« Und schon machte sie kehrt und rannte um die nächste Ecke.
    »Du
scheinst ein rechter Lümmel zu sein«, sagte ein streng aussehender Herr.
    »Ich
will mich nicht loben«, entgegnete der Junge. »Aber man tut, was man kann.«
     
    Der
Polizeipräsident saß in der Wachstube und erklärte mit dumpfer Stimme: »Das ist
kein Untersuchungsgefängnis, meine Herren. Das ist ein Irrenhaus.« Er
betrachtete den schlafenden Wachtmeister Witschoreck und die schlafende
Schäferhündin Diana.
    Auch
den schlafenden Hauptwachtmeister Mühlenschulte und den vorjährigen
Europameister Pluto musterte er finster. Man hatte die beiden hereingeschleppt.
Denn man konnte sie schließlich nicht im Gefängnishof herumliegen lassen.
    Obermedizinalrat
Grieneisen und Professor Dickhut hatten die zwei Wachtmeister und die zwei
Hunde untersucht. Grieneisen sagte: »Kein Fieber. Puls normal. Atmung in
schönster Ordnung.
    Alle
vier sind kerngesund.«
    »Nur
ziemlich müde«, meinte der Polizeipräsident ironisch.
    »Wann,
glauben Sie, wird dieses verrückte Gefängnis endlich aufwachen? Ich muss doch
jemanden fragen können, was gestern Nacht passiert ist!«
    Doktor
Heublein, der Gefängnisdirektor, starrte aus dem vergitterten Fenster und
murmelte: »Im Märchen von Dornröschen hat es hundert Jahre gedauert.«
    »So
viel Zeit haben wir nicht!« Der Polizeipräsident krächzte vor Aufregung. »Dann
sind wir längst pensioniert!«
    Da
ergriff Professor Dickhut das Wort. Von Märchen hielt er nichts. Er war
Chemiker. »Amerikanische Kollegen«, sagte er,
    »haben
so genannte humane Kampfstoffe entwickelt, die wir noch nicht kennen. So etwas
könnte es gewesen sein. Man schießt Schlafgranaten auf die feindlichen Truppen.
Im Nu sinken sie um und schlafen…«
    »Hundert
Jahre lang?«
    »Ach
wo, ein paar Stunden.«
    »Und
Sie glauben im Ernst, gestern Nacht sei ein Panzer mit amerikanischen Schlafgranaten
vorgefahren und habe das Gefängnis bombardiert?«
    »Nicht
doch, Herr Präsident«, sagte Professor Dickhut lächelnd.
    »Solche
Schlafgifte kann man natürlich dosieren, wenn man sie erst einmal erfunden hat.
In Tablettenform, in Sprühdosen, in Kanistern. Man kann damit operieren wie
Gärtner, wenn sie Ungeziefer bekämpfen.«
    »Ich
muss Ihnen glauben«, erklärte der Polizeipräsident. »Sie sind der Fachmann. Es
könnte sich so ähnlich abgespielt haben.
    Ich
frage mich nur, warum? Warum und wozu versetzt man ein ganzes Gefängnis in
einen modernen Dornröschenschlaf?«
    »Ich
kenne den Grund«, rief Kriminalkommissar Steinbeiß atemlos. Er war eben aus dem
Gefängnisbau zurückgekommen und hatte die Frage gehört. »Man hat zwei Häftlinge
gestohlen.
    Die
beiden Halunken, die den kleinen Mann entführt hatten.«
    Dann
stürzte er ans Telefon.
    Professor
Jokus von Pokus und der kleine Mann saßen, als das Telefon klingelte, in ihrem
Hotelzimmer und frühstückten. Der Jokus hob den Hörer ab, meldete sich und rief
erfreut: »Guten Morgen, Herr Kommissar. Natürlich ist er hier. Er hat sich
wieder einmal mit Erdbeermarmelade voll geschmiert. Na ja, als Millionär darf
er das. – Was ist passiert? –

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