Der kleine Nadomir
eine Gefahr lauern. Hier gab es keine Stämme mehr, die ihnen helfen würden. Nun waren sie ganz auf sich gestellt.
Sadagar hatte in den vergangenen Tagen genügend Gelegenheit gehabt, sich mit dem Kleinen Nadomir anzufreunden. Immer wieder hatte er den Gnomen mit Fragen bestürmt, doch er hatte nur ausweichende Antworten erhalten. Schließlich hatte er es aufgegeben und die Ausfragerei eingestellt.
Meist saß der Zwerg bei ihm im Schlitten, so wie auch jetzt. Bekleidet war er mit einem dichten schwarzen Pelz, der seiner Gestalt eine Kugelform verlieh. Manchmal, wenn er nicht gestört werden wollte, stülpte er sich auch den Pelz über den Kopf. Dann sah er wie ein zusammengerollter Igel aus, so stachelig war der Pelz. Seine Hände vergrub er meist in einem Muff, der aus dem gleichen Material gefertigt war.
Nur einmal hatte Sadagar den Zwerg ohne Pelz gesehen. Er trug darunter einen enganliegenden Anzug, wie ihn Sadagar nie zuvor gesehen hatte. Das Material war dünn und glänzend und schmiegte sich wie eine zweite Haut an Beine und Leib des Gnomen. Das Oberteil war langärmelig mit einem runden Halsausschnitt. Um den Hals schlangen sich drei Goldreifen, in die fremdartige, unverständliche Zeichen und Symbole graviert waren.
Über die magischen Fähigkeiten des Trolls war sich Sadagar nicht klargeworden. Der Kleine hatte einige recht nützliche Gegenstände in seinem Muff verborgen, war jedoch bisher jeden Beweis für eine überwältigende Beherrschung der Magie schuldig geblieben. Aber das konnte sich ja noch ändern. Sadagar wollte jedenfalls den Kleinen genau beobachten, um vielleicht etwas Neues zu lernen.
Oft hatte er in den vergangenen Tagen an Mythor und die anderen Freunde gedacht. Er hatte auch nicht seine Verabredung mit dem jungen Krieger vergessen, aber so, wie es im Augenblick aussah, würde er sie nicht einhalten können.
Die Schatten wurden länger. Hoch über ihnen zogen ein paar schwarze Vögel ihre Kreise, die Sadagar entfernt an Krähen erinnerten. Geschöpfe, die sie im Auftrag des Albs beobachteten? Eine Frage, die ihm niemand beantworten konnte.
Er genoss die friedliche Stille und schob alle Gedanken weit von sich. Sie fuhren genau auf die unbezwingbaren Götterberge zu, die im Widerschein der untergehenden Sonne purpur flammten. Berge, die so gewaltig waren, dass er sich richtig bewusst wurde, wie klein und unwichtig er war, Berge, die seit der Erschaffung der Welt standen und die noch stehen würden, wenn die ganze Menschheit zu Staub zerfallen war.
»Giiii!« schrie einer der Jäger, und die Stimmung brach wie Glas.
Die Hunde bellten vergnügt und verlangsamten ihr Tempo. »Giiii!«
Sadagar stieg ab und bewegte die steifen Glieder. Ein sanfter Wind spielte mit seinem Haar. Er blickte zu Olinga und Nottr hinüber, die sich während der Fahrt nähergekommen waren. In ihren Augen war noch immer das Begehren, das von ihm nicht erwidert wurde.
Nadomir blickte sich prüfend um. Dann nickte er langsam. »Das scheint ein guter Platz für ein Nachtlager zu sein«, meinte er und sprang vom Schlitten. »Komm mit, Sadagar. Wir werden uns umsehen.«
Das Tal war an dieser Stelle etwa zweihundert Fuß breit. Es führte schnurgerade auf den höchsten Berg zu. Links und rechts ragten steile Felswände empor.
Immer wieder blieb der Gnom forschend stehen. Er musterte die schneebedeckten Felsen und suchte den Boden nach Spuren ab.
»Der Schnee ist ziemlich frisch. Er fiel vergangene Nacht«, sagte der Troll.
Nur selten entdeckten sie Spuren. Meist stammten sie von Vögeln und anderen kleineren Tieren. Das Tal wurde immer breiter, und dann lag eine riesige, zerklüftete Ebene vor ihnen, die sich in der Weite verlor. Dünne Rauchfäden stiegen in den dunkel werdenden Himmel.
»Dort leben die Stämme, die den Alb verehren«, sagte Nadomir. »Im Winter behauen sie die großen Steinblöcke, die sie dann im Sommer für den Straßenbau verwenden. Außerdem bewachen sie den Zugang zum Tal der Riesen.«
»Was hast du vor, Nadomir?«
»Ich habe die Wilden oft beobachtet«, sprach dieser weiter, ohne auf Sadagars Frage einzugehen. »Der Zugang zum Tal der Riesen ist ein Tunnel oder ein Schacht, der von ihnen bewacht wird. Es ist der einzige Zugang zum Tal, in dem sich der Alb versteckt.«
»Warst du schon mal im Tal der Riesen?«
»Nein. Ich habe mit einigen der Wilden gesprochen, doch auch sie wissen nichts über das Tal. Keiner von ihnen war dort, denn der Alb hat ihnen verboten, es zu
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