Der Klient
durch die Vordertür, und sie setzten sich auf die Schaukel auf der Veranda. Es war dunkel, und die Luft war kühl. Sie schaukelten sanft und schweigend. Momma Love trank ihren Wein.
Sie beschloß, mit der Geschichte fortzufahren. »Weißt du, Mark, sobald er die Kinder hatte, hat er sie restlos verdorben. Ließ seine Freundinnen im Haus wohnen. Gab ihnen massenhaft Geld. Schmiß es ihnen praktisch nach. Kaufte ihnen Wagen. Amanda wurde schwanger, als sie noch zur High School ging, und er arrangierte die Abtreibung.«
»Weshalb hat Reggie ihren Namen geändert?« fragte er höflich. Wenn sie antwortete, wäre die Geschichte vielleicht beendet.
»Mehrere Jahre lang lebte sie zeitweise in Anstalten. Das war nach der Scheidung, und sie war in einer erbärmlichen Verfassung, Mark. Ich habe mich aus Sorge um meine Tochter jede Nacht in den Schlaf geweint. Die meiste Zeit hat sie bei mir gewohnt. Es dauerte Jahre, aber schließlich hatte sie es überstanden. Massenhaft Therapie. Massenhaft Geld. Massenhaft Liebe. Und dann kam sie eines Tages zu dem Schluß, daß der Alptraum vorüber war und daß sie die Scherben aufsammeln und ein neues Leben anfangen würde. Deshalb hat sie ihren Namen geändert. Sie ging zum Gericht und ließ die Namensänderung vornehmen. Sie richtete sich die Wohnung über der Garage ein. Sie gab mir all diese Fotos – sie will sie nicht ansehen. Sie studierte Jura. Sie wurde ein neuer Mensch mit einer neuen Identität und einem neuen Namen.«
»Ist sie verbittert?«
»Sie kämpft dagegen an. Sie hat ihre Kinder verloren, und davon kann sich keine Mutter je erholen. Aber sie versucht, nicht an sie zu denken. Sie wurden von ihrem Vater erzogen und wollen deshalb nichts mehr von ihr wissen. Ihn haßt sie natürlich, und ich nehme an, das ist eine gesunde Reaktion.«
»Sie ist eine sehr gute Anwältin«, sagte er, als hätte er schon viele Anwälte engagiert und wieder entlassen.
Momma Love rückte näher an ihn heran, zu nahe für Marks Geschmack. Sie tätschelte ihm das Knie, und das irritierte ihn gewaltig, aber sie war eine reizende alte Dame und dachte sich nichts dabei. Sie hatte einen Sohn begraben und ihren einzigen Enkel verloren, also machte er Zugeständnisse. Es schien kein Mond. Ein sanfter Wind ließ die Blätter der großen Eichen zwischen der Veranda und der Straße rauschen. Er hatte es nicht eilig, ins Krankenhaus zurückzukehren, und fand deshalb, daß es hier doch sehr angenehm war. Er lächelte Momma Love an, aber sie schaute mit leerem Blick ins Dunkle, in ihre Gedanken versunken. Die Schaukel war mit einer dicken, zusammengelegten Steppdecke gepolstert.
Er vermutete, daß sie letzten Endes doch wieder auf ihre Frage nach Jerome Clifford zurückkommen würde, und das wollte er vermeiden. »Weshalb hat Reggie so viele Kinder als Klienten?« Sie fuhr fort, sein Knie zu tätscheln. »Weil manche Kinder einen Anwalt brauchen, auch wenn die meisten von ihnen es nicht wissen. Und die meisten Anwälte sind zu sehr damit beschäftigt, Geld zu verdienen, um sich mit Kindern abzugeben. Sie will helfen. Sie macht sich immer Vorwürfe, weil sie ihre Kinder verloren hat, und sie will einfach anderen helfen. Sie setzt sich sehr für ihre kleinen Klienten ein.«
»Ich habe ihr nicht viel Geld bezahlt.«
»Zerbrich dir deshalb nicht den Kopf, Mark. Jeden Monat nimmt Reggie mindestens zwei Fälle an, für die sie nichts bekommt. Sie werden pro bono genannt, was bedeutet, daß der Anwalt die Arbeit kostenlos tut. Wenn sie deinen Fall nicht hätte übernehmen wollen, dann hätte sie es nicht getan.«
Er wußte über pro bono Bescheid. Die Hälfte der Anwälte im Fernsehen arbeitete an Fällen, die nichts für sie abwarfen. Die andere Hälfte schlief mit schönen Frauen und speiste in eleganten Restaurants.
»Reggie hat eine Seele, Mark, ein Gewissen«, fuhr sie fort, ihn immer noch sanft tätschelnd. Das Weinglas war leer, aber die Worte waren klar und ihr Verstand hellwach. »Sie arbeitet umsonst, wenn sie an ihren Klienten glaubt. Und einige ihrer armen Klienten können einem das Herz brechen, Mark. Einige dieser kleinen Burschen bringen mich ständig zum Weinen.«
»Sie sind sehr stolz auf Reggie, stimmt’s?«
»Ja, das bin ich. Reggie wäre beinahe gestorben, Mark, vor ein paar Jahren, während die Scheidung lief. Ich hätte sie fast verloren. Dann machte ich beinahe bankrott, als ich versuchte, sie wieder auf die Beine zu stellen. Aber sieh sie dir jetzt an.«
»Wird sie wieder
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