Der Klient
es zwanzig nach zwei. Jetzt erinnerte er sich, daß Reggie nicht hier wohnte; sie war über der Garage. Momma Love schlief vermutlich tief und fest im Obergeschoß, also hörte er auf zu schleichen, durchquerte die Diele, schloß die Haustür auf und fand seinen Platz auf der Schaukel. Die Luft war kühl und der Rasen pechschwarz.
Einen Moment lang war er wütend auf sich, weil er eingeschlafen und in diesem Haus zu Bett gebracht worden war. Er sollte im Krankenhaus sein bei seiner Mutter, auf demselben elenden Bett schlafen wie sie, darauf warten, daß Ricky wieder zu sich kam, damit sie nach Hause zurückkehren konnten. Er nahm an, daß Reggie Dianne angerufen hatte, also würde seine Mutter sich vermutlich keine Sorgen machen. Im Gegenteil, sie war wahrscheinlich froh, daß er hier war, gutes Essen bekam und gut schlief.
Seinen Berechnungen nach hatte er zwei Tage Schule versäumt. Heute mußte Donnerstag sein. Gestern war der Mann mit dem Messer im Fahrstuhl über ihn hergefallen. Der Mann mit dem Foto aus dem Wohnwagen. Und am Tag davor, am Dienstag, hatte er Reggie engagiert. Auch das schien bereits Monate her zu sein. Und noch einen Tag davor, am Montag, war er aufgewacht wie ein ganz gewöhnlicher Junge und zur Schule gegangen, ohne die geringste Ahnung, was passieren würde. In Memphis mußte es eine Million Kinder geben, und er würde nie verstehen, wieso und warum ausgerechnet er dazu bestimmt worden war, Jerome Clifford kennenzulernen, nur Minuten bevor er sich die Waffe in den Mund steckte.
Rauchen. Das war die Antwort. Rauchen gefährdet die Gesundheit. Das konnte man laut sagen. Er war von Gott gestraft worden, weil er geraucht und seinem Körper geschadet hatte. Verdammt! Was wäre gewesen, wenn er mit einem Bier erwischt worden wäre?
Die Silhouette eines Mannes erschien auf dem Gehsteig und hielt eine Sekunde vor Momma Loves Haus inne. Die orangefarbene Glut einer Zigarette leuchtete vor seinem Gesicht auf, dann wanderte er sehr langsam außer Sichtweite. Ein bißchen spät für einen Abendspaziergang, dachte Mark.
Eine Minute verging, und er war wieder da. Derselbe Mann. Derselbe langsame Gang. Dasselbe Zögern zwischen den Baumstämmen, während er das Haus betrachtete. Mark hielt den Atem an. Er saß im Dunkeln und wußte, daß er nicht gesehen werden konnte. Aber dieser Mann war mehr als ein neugieriger Nachbar.
Um genau vier Uhr morgens erschien ein schlichter weißer Ford-Transporter ohne Nummernschilder in den Tucker Wheel Estates und bog in die East Street ein. Die Wohnwagen waren dunkel und still. Die Straßen waren verlassen. Die kleine Siedlung lag in friedlichem Schlaf, und das würde noch zwei weitere Stunden, bis Tagesanbruch, so bleiben.
Der Transporter hielt vor Nummer 17. Scheinwerfer und Motor wurden ausgeschaltet. Niemand bemerkte ihn. Nach einer Minute öffnete ein uniformierter Mann die Fahrertür und trat auf die Straße. Die Uniform ähnelte der eines Polizisten von Memphis – marineblaue Hose, marineblaues Hemd, breiter schwarzer Gürtel mit schwarzem Holster, eine Waffe an der Hüfte, schwarze Stiefel, aber keine Kopfbedeckung. Eine annehmbare Imitation, besonders um vier Uhr morgens, wenn niemand so genau hinsah. Er hatte einen rechteckigen Pappbehälter bei sich, ungefähr so groß wie zwei Schuhkartons. Er schaute sich um, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den neben Nummer 17 stehenden Wohnwagen. Kein Laut. Nicht einmal das Bellen eines Hundes. Er lächelte und ging gelassen auf die Tür von Nummer 17 zu.
Wenn er in einem der Wohnwagen in der Nähe eine Bewegung wahrnahm, würde er einfach leise an die Tür klopfen und so tun, als wäre er ein frustrierter Bote auf der Suche nach Ms. Sway. Aber das war nicht nötig. Kein Mucks von den Nachbarn. Also stellte er schnell den Karton vor die Tür, stieg in den Transporter und fuhr davon. Er war spurlos gekommen und wieder gegangen und hatte seine kleine Warnung hinterlassen.
Genau dreißig Minuten später explodierte der Karton. Es war eine leise Explosion, sorgfältig kontrolliert. Der Boden bebte nicht, und der Vorbau stürzte nicht ein. Die Tür wurde aufgesprengt, und die Flammen schossen ins Innere des Wohnwagens. Massen von roten und gelben Flammen und schwarzem Rauch, der sich durch die Zimmer wälzte. Die Streichholzschachtel-Konstruktion von Wänden und Fußböden war ein idealer Brennstoff für das Feuer.
Noch bevor Rufus Bibbs von nebenan 911 anrufen konnte, war der Wohnwagen der Sways bereits von
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