Der Klient
über die du möglicherweise verfügst.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Daraus kann ich dir keinen Vorwurf machen. Hör mir genau zu, Mark. Ich werde versuchen, es dir zu erklären. Sie wollen wissen, was Jerome Clifford dir erzählt hat, bevor er starb. Sie werden dir ein paar ganz gezielte Fragen über die Ereignisse unmittelbar vor dem Selbstmord stellen. Sie werden dich fragen, was Clifford dir über Senator Boyette erzählt hat, falls er überhaupt etwas erzählt hat. Nichts, was du ihnen mit deinen Antworten sagst, kann dich auf irgendeine Weise mit dem Mord an Senator Boyette in Verbindung bringen. Verstehst du? Damit hattest du nichts zu tun. Und du hattest auch nichts mit dem Selbstmord von Jerome Clifford zu tun. Du hast kein Gesetz gebrochen, verstehst du? Niemand verdächtigt dich, an einem Verbrechen oder einer Straftat beteiligt zu sein. Deine Antworten können dich nicht belasten. Und deshalb kannst du dich nicht hinter dem Schutz des Fünften Verfassungszusatzes verstecken.« Sie hielt inne und beobachtete ihn genau. »Hast du das verstanden?«
»Nein. Wenn ich nichts verbrochen habe, warum haben mich dann die Polizisten abgeholt und ins Gefängnis gebracht? Warum sitze ich dann hier und warte auf eine Anhörung?«
»Du bist hier, weil sie glauben, daß du etwas Wichtiges weißt, und weil, wie ich schon sagte, jeder Mensch die Pflicht hat, die mit der Durchsetzung der Gesetze beauftragten Personen bei ihren Nachforschungen zu unterstützen.«
»Ich finde immer noch, daß das ein blödes Gesetz ist.«
»Mag sein. Aber wir können es nicht ändern.«
Er verlagerte sein Gewicht nach vorn und kippte den Stuhl auf alle vier Beine. »Ich muß etwas wissen, Reggie. Warum kann ich nicht einfach sagen, daß ich nichts weiß? Warum kann ich nicht sagen, daß ich und Romey über nichts anderes geredet haben als über Selbstmord und in den Himmel oder in die Hölle kommen, solche Sachen, Sie wissen schon?«
»Lügen erzählen?«
»Ja. Es wird funktionieren, ganz bestimmt. Niemand kennt die Wahrheit außer Romey, Ihnen und mir. Richtig? Und Romey kann nicht mehr reden.«
»Du darfst vor Gericht nicht lügen, Mark.« Sie sagte es mit soviel Überzeugung, wie sie gerade aufzubringen vermochte. Es hatte sie viele Stunden Schlaf gekostet, die Antwort auf diese unausweichliche Frage zu formulieren. Es verlangte sie so sehr danach, einfach zu sagen: Ja, das ist die Lösung! Lüge, Mark, lüge!
Ihr Magen krampfte sich zusammen, und ihre Hände zitterten beinahe, aber sie blieb fest. »Ich kann dir nicht erlauben, vor Gericht zu lügen. Du stehst unter Eid, und du mußt die Wahrheit sagen.«
»Dann war es also ein Fehler, Sie zu engagieren, oder?«
»Das glaube ich nicht.«
»Aber ich. Sie wollen, daß ich die Wahrheit sage, und in diesem Fall kann die Wahrheit bedeuten, daß ich umgebracht werde. Wenn es Sie nicht gäbe, würde ich hineingehen und das Blaue vom Himmel herunterlügen, und Mom und Ricky und ich wären in Sicherheit.«
»Du kannst mich entlassen, wenn du willst. Dann bestimmt das Gericht einen anderen Anwalt.«
Er stand auf und ging in die dunkelste Ecke des Zimmers und begann zu weinen. Sie sah zu, wie sein Kopf sank und seine Schultern absackten. Er bedeckte die Augen mit dem Rücken seiner rechten Hand und schluchzte laut.
Obwohl sie es viele Male erlebt hatte, war ihr der Anblick eines verängstigten und leidenden Kindes immer noch unerträglich. Sie konnte nicht anders, sie mußte gleichfalls weinen.
24
Z wei Deputies führten ihn durch eine Nebentür in den Gerichtssaal, abseits vom Hauptflur, auf dem die Neugierigen zu lauern pflegten, aber Slick Moeller hatte dieses kleine Manöver vorausgesehen und beobachtete alles, hinter einer Zeitung versteckt, aus kaum einem Meter Entfernung.
Reggie folgte ihrem Klienten und den Deputies. Clint wartete draußen. Es war fast ein Viertel nach zwölf, und im Gericht war eine Art Mittagsruhe eingetreten.
Einen Gerichtssaal wie diesen hatte Mark im Fernsehen noch nie gesehen. Er war so klein! Und leer. Es gab keine Bänke oder Stühle für Zuschauer. Der Richter saß auf einem Podest zwischen zwei Flaggen an der Rückwand. In der Mitte des Raums standen zwei Tische, und an einem saßen, mit dem Gesicht zum Richter, mehrere Männer in dunklen Anzügen. Rechts vom Richter gab es noch einen winzigen Tisch, an dem eine ältere Frau offensichtlich gelangweilt einen Stapel Papiere durchblätterte, bis er den Saal betrat. Eine aufregend hübsche junge
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