Der Klient
Pech, wenn Sie ihn nicht finden. Ende.«
Er legte den Hörer auf und starrte das Telefon an. Im Wohnwagen herrschte absolute Stille. Er ging zur Tür und lugte durch die schmutzigen Vorhänge hinaus, fast damit rechnend, daß Streifenwagen aus sämtlichen Richtungen herangebraust kamen – Lautsprecher, SWAT-Teams, kugelsichere Westen.
Nimm dich zusammen. Er schüttelte Ricky abermals, berührte seinen Arm, registrierte, wie klamm er war. Aber Ricky schlief nach wie vor und lutschte an seinem Daumen. Mark packte ihn sanft um die Taille und schleppte ihn über den Fußboden den schmalen Flur entlang zu ihrem Schlafzimmer, wo er ihn ins Bett packte. Unterwegs murmelte Ricky etwas und wand sich ein wenig, rollte sich im Bett aber sofort wieder zusammen. Mark breitete eine Decke über ihn und machte die Tür zu.
Er schrieb eine Notiz für seine Mutter, teilte ihr mit, daß es Ricky nicht gut ginge und daß er schliefe, und er selbst wäre in ungefähr einer Stunde zurück. Von den Jungen wurde nicht verlangt, daß sie zu Hause waren, wenn sie von der Arbeit kam, aber wenn sie unterwegs waren, sollte zumindest ein Zettel da sein.
Das ferne Dröhnen eines Hubschraubers entging Mark.
Auf dem Pfad zündete er sich eine Zigarette an. Vor zwei Jahren war ein neues Fahrrad aus einem der Vororte verschwunden, nicht weit von der Wohnwagensiedlung entfernt. Es gab Gerüchte, daß es hinter einem der Mobilheime gesehen worden war, und den gleichen Gerüchten nach war es von ein paar Jungen aus der Siedlung auseinandergenommen und umlackiert worden. Den Jungen aus den Vororten machte es Spaß, ihre weniger gutsituierten Nachbarn als »Trailer Park Kids« abzuqualifizieren. Sie besuchten dieselbe Schule, und es gab täglich Schlägereien zwischen den beiden Gesellschaftsschichten. Sämtliche Verbrechen und Missetaten in den Vororten wurden automatisch den Wohnwagen-Leuten angelastet.
Kevin, der Junge von der North Street, hatte das neue Fahrrad gehabt und es etlichen seiner Kumpane gezeigt, bevor es umlakkiert wurde. Mark hatte es gesehen. Die Gerüchte schwirrten, die Polizei schnüffelte herum, und eines Abends klopfte es an der Tür. Bei den Nachforschungen war Marks Name erwähnt worden, und der Polizist hatte ein paar Fragen. Er hatte am Küchentisch gesessen und Mark eine Stunde lang verhört. Es war ganz anders gewesen als im Fernsehen, wo der Angeklagte immer cool bleibt und sich über den Polizisten lustig macht.
Mark gab nichts zu, konnte drei Nächte lang nicht schlafen und schwor sich, ein sauberes Leben zu führen und sämtlichen Problemen aus dem Wege zu gehen.
Aber jetzt hatte er ein Problem. Ein echtes Problem, viel schwerwiegender als ein gestohlenes Fahrrad. Ein toter Mann, der Geheimnisse preisgegeben hatte, bevor er starb. Hatte er die Wahrheit gesagt? Er war betrunken und total verrückt, hatte vom großen Zauberer geredet und solches Zeug. Aber weshalb hätte er lügen sollen?
Mark wußte, daß Romey eine Waffe hatte, er hatte sie sogar in der Hand gehalten und den Finger an den Abzug gelegt. Und die Waffe hatte den Mann getötet. Es war bestimmt ein Verbrechen, zuzusehen, wie ein Mann Selbstmord beging, und ihn nicht daran zu hindern.
Er würde es nie einer Menschenseele erzählen! Romey redete nicht mehr. Um Ricky würde er sich kümmern müssen. Mark hatte bei der Sache mit dem Fahrrad den Mund gehalten, und er konnte es abermals tun. Niemand würde je erfahren, daß er in dem Wagen gesessen hatte.
In der Ferne ertönte eine Sirene, dann das stetige Dröhnen eines Hubschraubers. Mark duckte sich unter einen Baum, als der Hubschrauber ganz nahe vorüberschwebte. Er schlich zwischen Bäumen und Gestrüpp hindurch, geduckt und ohne jede Eile, bis er Stimmen hörte.
Überall flackerten Lichter. Blau für die Bullen und rot für die Ambulanz. Die weißen Streifenwagen der Polizei von Memphis umstanden den schwarzen Lincoln. Die orange und weiß lackierte Ambulanz traf gerade ein, als Mark durchs Gestrüpp lugte. Niemand schien nervös oder aufgeregt zu sein. Romey war nicht bewegt worden. Ein Polizist machte Fotos, während die anderen lachten. Funkgeräte quakten, genau wie im Fernsehen. Blut kam unter dem Toten hervor und rann über die rot-weißen Schlußlichter. Die Pistole steckte nach wie vor in seinem Mund, aber seine rechte Hand lag jetzt auf seinem hervorquellenden Bauch. Sein Kopf war nach rechts gesackt, die Augen waren geschlossen. Die Sanitäter kamen und betrachteten ihn, dann machten sie
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