Der Klient
müde. Unter der dünnen Matratze war die harte Metallstrebe des Bettgestells zu spüren, und er rückte näher an die Wand und zog die Decke über sich. Seine Mutter rieb seinen Arm. Er starrte die Wand an und kam zu dem Schluß, daß er unmöglich eine Woche lang so schlafen konnte.
Ihr Atem ging jetzt viel schwerer, und sie lag völlig still. Er dachte an Romey. Wo war er jetzt? Wo war der rundliche kleine Mann mit dem kahlen Kopf? Er erinnerte sich daran, wie der Schweiß von seinem glänzenden Skalp in alle Richtungen heruntergelaufen war; ein Teil davon war von seinen Brauen herabgetropft, ein anderer hatte seinen Kragen durchweicht. Sogar seine Ohren waren naß gewesen. Wer würde seinen Wagen bekommen? Wer würde ihn saubermachen und das Blut abwaschen? Wer würde die Pistole bekommen? Erst jetzt wurde Mark bewußt, daß seine Ohren nicht mehr von dem Schuß im Wagen dröhnten. Saß Hardy immer noch draußen im Wartezimmer und versuchte zu schlafen? Würden die Polizisten morgen wiederkommen mit noch mehr Fragen? Was war, wenn sie ihn wegen des Gartenschlauchs befragten? Was war, wenn sie ihm tausend Fragen stellten?
Er war jetzt hellwach und starrte die Wand an. Durch die Gardinen sickerte Licht von draußen herein. Das Schlafmittel wirkte gut – seine Mutter atmete sehr langsam und schwer. Ricky hatte sich nicht gerührt. Mark schaute in das schwache Licht über dem Tisch und dachte an Hardy und die Polizei. Ob sie ihn beobachteten? Stand er unter ständiger Überwachung, wie im Fernsehen? Bestimmt nicht.
Er sah zehn Minuten lang zu, wie sie schliefen, dann wurde es ihm langweilig. Es war Zeit für eine Erkundungstour. Als er ein Erstkläßler war, war sein Vater eines Abends betrunken nach Hause gekommen und über Dianne hergefallen. Sie kämpften miteinander, daß der Wohnwagen bebte, und Mark hatte das billige Fenster in seinem Zimmer hochgeschoben und war hinausgeschlüpft. Er hatte einen langen Spaziergang durch die Nachbarschaft und dann durch den Wald gemacht. Es war eine heiße, stickige Nacht gewesen mit Unmengen von Sternen, und er hatte auf einer Anhöhe mit Aussicht auf die Wohnwagensiedlung ausgeruht. Er hatte für die Sicherheit seiner Mutter gebetet. Er hatte Gott um eine Familie angefleht, in der jeder schlafen konnte, ohne die Angst, mißhandelt zu werden. Weshalb konnten sie nicht einfach ganz normal sein? Er streifte zwei Stunden lang umher. Als er nach Hause zurückkehrte, war alles ruhig, und so hatte er sich diese nächtlichen Exkursionen zur Gewohnheit gemacht, einer Gewohnheit, der er viel Freude und Frieden verdankte.
Mark war ein Denker, jemand, der sich leicht Sorgen machte, und wenn er nachts immer wieder aufwachte oder gar nicht erst einschlafen konnte, unternahm er lange, heimliche Spaziergänge. Er lernte viel. Er trug dunkle Kleidung und bewegte sich wie ein Dieb durch die Schatten der Tucker Wheel Estates. Er wurde Zeuge kleinerer Verbrechen wie Diebstahl und Vandalismus, zeigte sie aber nie an. Er sah Liebhaber, die sich durch Fenster davonstahlen. Er liebte es, in klaren Nächten auf der Anhöhe oberhalb der Siedlung zu sitzen und in aller Ruhe zu rauchen. Die Angst, von seiner Mutter erwischt zu werden, war schon vor Jahren verschwunden. Sie arbeitete schwer und schlief fest.
Er hatte keine Angst vor einer fremden Umgebung. Er zog die Decke über die Schulter seiner Mutter, tat bei Ricky dasselbe, dann machte er leise die Tür hinter sich zu. Der Flur war leer und dunkel. Karen die Schöne arbeitete am Schreibtisch im Schwesternzimmer. Sie lächelte ihn an und hörte auf zu schreiben. Er wollte sich aus der Cafeteria einen Orangensaft holen, sagte er, und er wüßte den Weg. Er würde in einer Minute zurück sein. Karen lächelte abermals, als er davonging, und Mark war verliebt.
Hardy war verschwunden. Der Warteraum war leer, aber der Fernseher lief. »Hogan’s Heroes«. Er fuhr mit dem Fahrstuhl ins Kellergeschoß.
Die Cafeteria war fast leer. An einem der Tische saß ein Mann mit beiden Beinen in Gips steif in einem Rollstuhl. Der Gips glänzte und war völlig sauber. Ein Arm lag in einer Schlinge. Ein dicker Gazeverband bedeckte seinen Schädel, und es sah aus, als hätte man ihm die Haare abrasiert. Er schien sich fürchterlich elend zu fühlen.
Mark zahlte für ein Glas Saft und setzte sich an einen Tisch in der Nähe des Mannes, der schmerzgequält das Gesicht verzog und frustriert seine Suppe von sich schob. Er trank Saft durch einen Strohhalm, und dann
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