Der Klient
aber Foltrigg begriff das offenbar nicht. McThune hatte gehört, daß er nicht sonderlich intelligent war.
»Die Familie ist anscheinend weggezogen, als er noch ein Kind war«, erklärte er nach einer Pause. »Er hat in Rice das College besucht und anschließend in Tulane Jura studiert.«
»Wir waren Kommilitonen«, sagte Fink stolz.
»Großartig. Der Abschiedsbrief war mit der Hand geschrieben und auf heute datiert – nein, gestern. Handgeschrieben mit einem schwarzen Filzstift – der Stift wurde weder bei ihm noch im Wagen gefunden.« McThune ergriff ein Blatt Papier und lehnte sich über den Schreibtisch. »Hier. Das ist das Original. Gehen Sie vorsichtig damit um.«
Wally Boxx stürzte sich darauf, um es sofort an Foltrigg weiterzugeben, der es gründlich studierte. McThune rieb sich die Ohren und fuhr fort: »Nur Begräbnis-Arrangements und Anweisungen an seine Sekretärin. Schauen Sie unten hin. Sieht so aus, als hätte er versucht, mit einem blauen Kugelschreiber noch etwas hinzuzufügen, aber der Kugelschreiber war leer.«
Foltriggs Nase bewegte sich näher an den Brief heran. »Da steht ›Mark, Mark wo sind‹, den Rest kann ich nicht entziffern.«
»Richtig. Die Schrift ist fürchterlich, und der Kugelschreiber war leer, aber unsere Experten sagen dasselbe. ›Mark, Mark wo sind‹. Wir haben den Kugelschreiber im Wagen gefunden. Billiger Bic. Kein Zweifel, daß er damit zu schreiben versucht hat. Er hat keine Kinder, Neffen, Brüder, Onkel oder Vettern, die Mark heißen. Wir überprüfen seine engeren Freunde – seine Sekretärin hat gesagt, er hätte keine –, aber bisher haben wir noch keinen Mark gefunden.«
»Und, was bedeutet das?«
»Da ist noch etwas. Vor ein paar Stunden ist Mark Sway mit einem Polizisten namens Hardy ins Krankenhaus gefahren. Unterwegs ist ihm entschlüpft, daß Romey etwas gesagt oder getan hat. Romey. Die Kurzform von Jerome, Cliffords Sekretärin zufolge. Tatsächlich redeten mehr Leute ihn mit Romey an als mit Jerome. Woher weiß der Junge den Namen, es sei denn, er hat ihn von Mr. Clifford selbst erfahren?«
Foltrigg hörte mit offenem Mund zu. »Was meinen Sie?« fragte er.
»Nun, meine Theorie ist, daß der Junge in dem Wagen war, bevor Clifford sich erschoß, und zwar eine ganze Weile, wegen der vielen Fingerabdrücke, und daß er und Clifford sich über irgend etwas unterhalten haben. Dann verschwindet der Junge aus dem Wagen. Clifford versucht, seinem Brief noch etwas hinzuzufügen, und erschießt sich. Der Junge hat Angst. Sein kleiner Bruder verfällt in einen Schock, und wir sitzen hier.«
»Weshalb sollte der Junge lügen?«
»Erstens, er hat Angst. Zweitens, er ist noch ein Kind. Drittens, vielleicht hat Clifford ihm etwas erzählt, wovon er besser nichts wüßte.«
McThunes Vortrag war perfekt, und der dramatische Schlußsatz hinterließ eine lastende Stille im Raum. Boxx und Fink starrten fassungslos und mit offenen Mündern auf den Schreibtisch.
Weil sein Chef im Augenblick sprachlos war, kam ihm Wally Boxx zu Hilfe und stellte eine dumme Frage. »Weshalb glauben Sie das?«
McThunes Geduld mit Bundesanwälten und ihren Lakaien war schon vor zwanzig Jahren erschöpft gewesen. Er hatte gesehen, wie sie kamen und gingen. Er hatte gelernt, ihr Spiel zu spielen und ihre Egos geschickt zu handhaben. Er wußte, daß die beste Methode, mit ihren Banalitäten fertig zu werden, darin bestand, einfach zu antworten. »Wegen des Abschiedsbriefs, der Fingerabdrücke und der Lügen. Der arme Junge weiß nicht, was er tun soll.«
Foltrigg legte den Brief auf den Schreibtisch und räusperte sich. »Haben Sie mit dem Jungen geredet?«
»Nein. Ich war vor zwei Stunden im Krankenhaus, habe ihn aber nicht gesehen. Sergeant Hardy von der Polizei von Memphis hat mit ihm gesprochen.«
»Haben Sie es vor?«
»Ja, in ein paar Stunden. Trumann und ich werden gegen neun ins Krankenhaus fahren und mit dem Jungen und vielleicht auch mit seiner Mutter reden. Außerdem würde ich gern mit seinem kleinen Bruder reden, aber das hängt von seinem Arzt ab.«
»Ich möchte dabeisein«, sagte Foltrigg. Damit hatte jeder gerechnet.
McThune schüttelte den Kopf. »Keine gute Idee. Wir erledigen das.« Er war kurz angebunden und ließ keinen Zweifel daran, wer hier das Sagen hatte. Sie waren in Memphis, nicht in New Orleans.
»Was ist mit dem Arzt des Jungen? Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nein, noch nicht. Wir werden es heute vormittag versuchen. Ich bezweifle, daß er
Weitere Kostenlose Bücher