Der Knochenbrecher
Flasche WeiÃwein aufmachen.«
Katia erstarrte.
»Also, was meinst du? Bin ich nun ein glühender Verehrer oder nicht, Katia?«
Instinktiv ging Katias Blick zum Küchenfenster, auch wenn sie wusste, dass sie zu hoch oben wohnte, als dass jemand sie von einem der umstehenden Gebäude aus hätte beobachten können.
»Ach so â und ich spanne auch nicht durchs Fenster«, sagte der Mann mit hörbarem Spott in der Stimme.
Das Licht in der Küche ging aus, und als Katia das nächste Mal die Stimme hörte, kam sie nicht aus dem Hörer.
»Ich stehe direkt hinter dir.«
10
Hunters Hyposomie kostete ihn allnächtlich mindestens vier Stunden Schlaf. In der vergangenen Nacht waren es fast sechs gewesen.
Seine Schlafprobleme hatten nach dem Tod seiner Mutter angefangen. Damals war er erst sieben Jahre alt gewesen. Er hatte nachts alleine in seinem Zimmer gelegen und sie vermisst, zu stolz zum Weinen und zu verängstigt, um die Augen zuzumachen. Trauer und Sehnsucht hatten ihn unerbittlich wach gehalten. Robert war als Einzelkind in einem ärmlichen Viertel von South Los Angeles aufgewachsen. Sein Vater hatte nach dem Tod der Mutter nie wieder geheiratet, und obwohl er zwei Jobs hatte, fiel es ihm schwer, alleine für sein Kind zu sorgen.
Um die Alpträume in Schach zu halten, beschäftigte Robert seinen Kopf auf andere Weise â durch Lesen. Er verschlang ein Buch nach dem anderen, als könne er Kraft und Macht aus ihnen schöpfen.
Robert war immer schon anders gewesen. Bereits als Kind hatte er durch seine auÃergewöhnlich rasche Auffassungsgabe auf sich aufmerksam gemacht, und im Alter von zwölf Jahren kam er, nach einer ganzen Reihe von Tests, die er auf Betreiben seines Schulleiters in Compton hin absolviert hatte, in die achte Klasse der Mirman School für Hochbegabte am Mulholland Drive.
Doch selbst der anspruchsvolle Lehrplan dort reichte nicht aus, um ihn zu bremsen. Mit fünfzehn machte er seinen Schulabschluss. Er hatte den Stoff von vier Highschool-Jahren in zweien bewältigt und damit sämtliche seiner Lehrer in Staunen versetzt. Dank ihrer Empfehlungen wurde er an der psychologischen Fakultät von Stanford als Frühstudent aufgenommen.
Auf dem College war sein Lernfortschritt nicht weniger rasant, so dass er im Alter von nur dreiundzwanzig Jahren bereits einen Doktortitel in Kriminal- und Biopsychologie vorweisen konnte. Kurz darauf folgte der zweite schwere Schicksalsschlag in seinem Leben. Sein Vater, der zu der Zeit als Wachmann in einer Filiale der Bank of America in Downtown Los Angeles arbeitete, wurde bei einem Raubüberfall erschossen. Mit einem Schlag kehrten Hunters Alpträume und seine Schlaflosigkeit zurück â diesmal sogar noch stärker als zuvor, und sie hatten ihn seitdem nicht mehr losgelassen.
Hunter stand in seinem Wohnzimmer am Fenster und starrte ins Nichts. Seine Augen brannten, und die Kopfschmerzen, die im Nacken begonnen hatten, waren dabei, sich über den gesamten Schädel auszubreiten. Egal wie sehr er sich bemühte, das Gesicht der toten Frau wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf. Ihre vor Entsetzen geweiteten Augen, die aufgedunsenen, von der hässlichen Naht entstellten Lippen. War sie mutterseelenallein in der Fleischerei aufgewacht und hatte zu schreien versucht? Hatte ihr der Faden deshalb so tief ins Fleisch geschnitten? Hatte sie in verzweifelter Angst an ihren Lippen gekratzt? War sie bei Bewusstsein gewesen, als der Killer eine Bombe in ihren Unterleib gesteckt und sie zugenäht hatte? Die Fragen überÂrollten ihn wie Flutwellen.
Hunter blinzelte, und das Gesicht der Frau machte dem von Dr. Winston und den Videobildern aus dem Sektionssaal Platz â wie er vor Entsetzen die Augen aufgerissen hatte, als ihm klargeworden war, was er da in der Hand hielt. Als er begriffen hatte, dass er sterben würde und dass es nichts gab, was daran noch etwas ändern konnte. Hunter schloss die Augen. Sein Freund war tot, und er hatte nicht die geringste Ahnung, warum.
Das Aufheulen einer Polizeisirene irgendwo in der Ferne riss ihn aus seinen Grübeleien. Er bebte vor Wut. Was er am Abend an der Decke des hinteren Raums in der Fleischerei gesehen hatte, veränderte alles. Die Bombe war für niemand anderen gedacht gewesen als für die Frau, die dort auf dem Tisch gelegen hatte. Dr. Winston, sein guter Freund, ein Mensch, den er als Teil seiner eigenen
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