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Der Knochenbrecher

Der Knochenbrecher

Titel: Der Knochenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Carter
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Kombinationsgabe und ihre durchsetzungsstarke Persönlichkeit halfen ihr auf dem Weg nach oben, so dass sie mit siebenundzwanzig endlich ihre heißersehnte Marke in der Hand hielt.
    Ihr Captain hatte nicht lange gebraucht, um zu erkennen, dass Myers’ besondere Begabung in ihrer Überredungs­kunst lag. Sie war ruhig, artikuliert, aufmerksam und sehr überzeugend, wenn es darum ging, ihren Standpunkt darzulegen. Außerdem konnte sie gut mit Menschen umgehen. So kam es, dass Myers nach einem sechsmonatigen Intensivkurs beim FBI zu einer der Chefvermittlerinnen für die Dienstabschnitte West und Valley sowie die zentrale Vermisstenstelle ernannt wurde.
    Doch ihre Karriere als Detective bei der Elite des LAPD hatte vor drei Jahren ein jähes Ende genommen, nachdem ihr Versuch, einen Selbstmörder davon abzuhalten, von einem achtzehnstöckigen Hochhaus in Culver City zu springen, in eine Katastrophe gemündet war.
    Nach dem Vorfall kam Myers’ gesamtes Leben auf den Prüfstand. Es wurde eine interne Ermittlung eingeleitet, die herausfinden sollte, ob sie korrekt gehandelt hatte, und die Dienstaufsicht stürzte sich auf sie wie ein tollwütiger Hund. Die Ermittlungen gingen nach mehreren Wochen ohne Ergebnis zu Ende, und ein Disziplinarverfahren blieb ihr erspart, doch ihre Tage beim LAPD waren vorbei. Seither betrieb sie ihre eigene Detektivagentur, die auf das Aufspüren vermisster Personen spezialisiert war.
    Myers folgte McKee durchs Haus, an einer Doppeltreppe vorbei und dann einen Flur entlang, an dessen Wänden zahlreiche Fotos berühmter Filmstars hingen. Der Flur führte sie schließlich ins Wohnzimmer, das so beeindruckend aussah, dass Myers eine ganze Weile brauchte, bis sie den Mann entdeckt hatte, der an einem der Bogenfenster stand. Er war knapp ein Meter neunzig groß und breitschultrig. In der rechten Hand hielt er ein fast leeres Glas Scotch. Obwohl er Mitte fünfzig sein musste, merkte Myers schon von weitem, dass er sich einen jugendlichen Charme bewahrt hatte.
    Â»Whitney, darf ich Ihnen Leonid Kudrov vorstellen?«, sagte McKee.
    Leonid stellte sein Glas ab und schüttelte Myers die Hand. Sein Griff war ein wenig zu fest, und aus seiner Miene sprach dasselbe wie aus den Mienen aller ihrer Auftraggeber: Verzweiflung.
    19
    Myers lehnte das Angebot eines Drinks ab. Sie hörte aufmerksam zu, während Kudrov erzählte, und machte sich bei jedem zweiten Satz Notizen.
    Â»Haben Sie die Polizei verständigt?«, fragte sie, während Kudrov sich nachschenkte.
    Â»Ja, sie haben sich meinen Namen aufgeschrieben, aber mir überhaupt nicht richtig zugehört. Stattdessen haben sie irgendeinen Schwachsinn von mindestens vierundzwanzig Stunden und mündigen Erwachsenen und so weiter ge­faselt und mich in der Warteschleife versauern lassen. ­Deshalb habe ich mich an Andy gewandt, und er hat Sie angerufen.«
    Myers nickte. »Weil Ihre Tochter dreißig Jahre alt ist und Sie Ihre Vermutung, dass sie entführt wurde, nicht durch stichhaltige Beweise untermauern konnten, müssen wenigstens vierundzwanzig Stunden verstreichen, bis sie ­offiziell als vermisst gilt. Das ist gängige Praxis.« Myers’ Stimme war von Natur aus souverän und vertraueneinflößend.
    Â»Vierundzwanzig Stunden? In vierundzwanzig Stunden könnte sie längst tot sein! Das ist unverantwortlich.«
    Â»Manchmal auch länger, je nach Beweislage.«
    Â»Ich habe versucht, ihm das zu erklären«, warf McKee ein und wischte sich erneut über die Stirn.
    Â»Ihre Tochter ist erwachsen, Mr Kudrov«, erklärte Myers. »Eine erwachsene Frau, die vielleicht einfach nur vergessen hat, dass sie mit Ihnen zum Mittagessen verabredet war.«
    Kudrov sah erst Myers, dann McKee an. »Hat sie irgendein Wort von dem verstanden, was ich gesagt habe?«
    Â»Durchaus«, gab Myers zurück, bevor sie die Beine übereinanderschlug und in ihren Notizen blätterte. »Sie haben beim Mittagessen eine halbe Stunde auf sie gewartet, aber sie kam nicht. Sie haben sie mehrmals angerufen. Sie hat nicht abgenommen und auch auf keine Ihrer Nachrichten hin zurückgerufen. Sie sind unruhig geworden und zu ihrer Wohnung gefahren. Dort haben Sie ein Handtuch auf dem Küchenfußboden gefunden, aber darüber hinaus kam Ihnen nichts verdächtig vor bis auf eine Flasche Weißwein, die Ihrer Meinung nach im Kühlschrank hätte stehen

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