Der Knochenbrecher
Sie? Ein sehr künstlerischer Mensch.« Sie kam zu ihm und reichte ihm das gerahmte Bild. Darauf war ein kleines Mädchen zu sehen, etwa acht Jahre alt, von Wachsmalstiften und winzigen Wasserfarbtöpfchen umgeben. Sie sah so glücklich aus, und ihr Lächeln war so ansteckend, dass Hunter es unwillkürlich erwidern musste. Für einen Moment vergaà er, dass dieses Mädchen auf die denkbar grausamste Weise aus dem Leben gerissen worden war.
»In der Schule hat sie in Kunst jedes Jahr eine Auszeichnung bekommen«, sagte Denise voller Stolz.
Hunter hörte ihr zu.
Ein wehmütiges Lächeln zuckte um Denises Mundwinkel, aber sie hielt es zurück. »Sie hat erst spät angefangen, professionell zu malen, aber sie hat Kunst schon immer geliebt. Das Malen war ihre Zuflucht. Immer wenn sie wegen irgendwas traurig war, hat sie sich zu ihren Pinseln geflüchtet. Die Malerei hat sie geheilt, als sie noch ein Kind war.«
»Geheilt?« Schlagartig war Hunters Miene angespannt, und sein Blick sprang zwischen Denise und Roy hin und her.
»Eines Tages, als Laura acht war, bekam sie aus heiterem Himmel einen Anfall«, erklärte Denise. »Sie konnte nicht mehr atmen und sich nicht bewegen. Sie hat die Augen verdreht und wäre fast erstickt. Das hat uns zu Tode erschreckt.«
Roy nickte und redete weiter. »Wir waren mit ihr bei vier verschiedenen Ãrzten. Spezialisten, wie sie alle behaupteten.« Er schüttelte den Kopf, als ärgerte er sich noch immer über sie. »Aber keiner konnte uns erklären, was sie hatte. Sie hatten nicht die blasseste Ahnung.«
»Sind diese Anfälle danach wieder aufgetreten?«
»Ja, noch ein paarmal«, sagte Denise. »Sie hat jede Untersuchung mitgemacht, die man sich nur denken kann, sogar Computertomographien. Sie haben nichts gefunden. Niemand wusste, was ihr fehlt. Niemand konnte uns sagen, was die Anfälle ausgelöst hat. Ungefähr eine Woche nach dem letzten Anfall hat Laura dann zum ersten Mal einen Pinsel in die Hand genommen. Und das warâs. Die Anfälle sind nie wiedergekommen.« Denise fasste sich mit der Fingerspitze in den rechten Augenwinkel, um die Träne aufzufangen, die sich dort gebildet hatte und ihr nun die Wange hinabzulaufen drohte. »Ganz egal was die anderen sagen, ich weià genau, dass wir es der Malerei zu verdanken haben, dass die Anfälle aufgehört haben. Das Malen hat sie gesund gemacht.«
»Sie sagten, sie hat während der Anfälle schlecht Luft bekommen?«
Denise nickte. »Wir hatten jedes Mal fürchterliche Angst um sie. Sie konnte nicht atmen, die Farbe ihrer Haut veränderte sich.« Sie hielt inne und wandte den Blick ab. »Wenn ich daran denke, wie oft sie hätte sterben können â¦Â«
»Und dann haben die Anfälle einfach aufgehört?«
»Ja«, sagte Roy. »Gleich nachdem sie angefangen hatte zu malen.«
Hunter erhob sich und gab Denise den Bilderrahmen zurück. »War Laura mit jemandem zusammen?«
Denise stieà einen tiefen Seufzer aus. »Laura hat sich nie wirklich auf jemanden eingelassen. Das war noch so Âeiner ihrer Selbstschutzmechanismen.« Sie trat zum Barschrank neben dem hohen Bücherregal. »In jedem Artikel über sie, in dem es darum geht, wie ihre Karriere angefangen hat, steht etwas darüber, wie sehr sie damals darunter gelitten hat, dass ihr Verlobter sie betrogen hat. Sie hat ihn im Bett mit einer anderen Frau erwischt. Das hat etwas in ihr zerstört.« Denise schenkte sich einen doppelten Whisky aus einer Karaffe ein und lieà zwei Eiswürfel ins Glas fallen. »Wollen Sie auch einen?« Sie hob ihr Glas.
Single Malt war Hunters groÃe Leidenschaft, und anders als die meisten verstand er es, den Geschmack und die Qualität zu würdigen, statt sich bloà damit zu betrinken.
»Danke, nein.«
»Roy?« Sie drehte sich zu ihrem Mann um.
Der schüttelte den Kopf.
Denise zuckte mit den Schultern, nippte an ihrem Whisky und schloss die Augen, als die Flüssigkeit ihr die Kehle hinabrann.
»Um irgendwie mit dem Schmerz fertig zu werden, hat Laura sofort wieder angefangen zu malen. Davor hatte sie mehrere Jahre lang nicht gemalt. Ein Galeriebesitzer hat rein zufällig eins ihrer Bilder gesehen, und das war der Anfang ihrer Karriere. Aber davor hat sie sehr gelitten.«
»An ihrem gebrochenen Herzen?«, fragte Hunter.
Denise nickte
Weitere Kostenlose Bücher