Der Knochenbrecher
wieso? Von welchen Beweisen reden Sie überhaupt?«
»Das Fehlen von Verletzungen.«
Captain Blake runzelte derart heftig die Stirn, dass ihre Augenbrauen fast in der Mitte zusammenstieÃen.
»Zwei Opfer.« Hunter hielt zwei Finger in die Höhe. »Beide wurden entführt und mehrere Wochen lang gefangen gehalten. Sie wissen noch, was Dr. Hove gesagt hat? Wenn man die Stiche und die Todesart auÃer Acht lässt, hat er die beiden nicht angerührt. Sie hatten nicht mal eine Schramme. Der Killer hat ihnen während ihrer Gefangenschaft kein Haar gekrümmt.«
»Also gut«, räumte Blake ein. »Und wie hängt das mit der Theorie eines gestörten Bewunderers zusammen?«
»Leute, die eine Obsession haben, verbringen viel Zeit damit, in ihrem Kopf Fantasieszenarien über die Objekte ihrer Bewunderung zu entwickeln, Captain«, erklärte HunÂter. »Deshalb kommt es ja überhaupt erst zu einer Obsession. In der Regel sind die meisten dieser Fantasien sexueller Natur, einige können auch gewalttätig sein, aber bestimmt dreht sich keine darum, die betreffende Person zu verschleppen, damit man dann wochenlang bei Milch und ÂDonuts mit ihr plaudern kann. Wenn der Täter ein Bewunderer mit einer Obsession wäre und wenn diese Obsession stark genug wäre, ihn dazu zu verleiten, sein Opfer zu entführen, dann müsste man damit rechnen, dass er im Anschluss daran versucht, noch weitere seiner Fantasien auszuleben. Erst recht, wenn er sowieso vorhat, sie am Ende umzubringen. Aber wenn er das getan hätte, dann hätten wir an den Körpern der Leichen irgendwelche Spuren entdecken müssen.«
Captain Blake machte ein nachdenkliches Gesicht. Sie hatten nie Beweise dafür gefunden, dass die Opfer vergewaltigt worden waren. Aber Hunter hatte recht: Das Fehlen jeglicher Verletzungen an beiden Leichen legte nahe, dass es dem Killer um etwas anderes ging. Ein krankhaft fixierter Bewunderer klang also in der Tat unwahrscheinlich.
»Wer wäre sonst zu so etwas fähig?«, wollte sie wissen. »Jemand mit gespaltener Persönlichkeit?«
»Auch hier gilt: möglich, aber anhand der jetzigen Beweislage schwer einzuschätzen.«
»Wieso?«, fragte sie herausfordernd. »Sie haben doch selbst gesagt, dass sich der Täter von jetzt auf gleich von passiv zu unfassbar brutal entwickelt hat. Ist das nicht ein Anzeichen für extreme Stimmungsschwankungen? Eine drastische Persönlichkeitsveränderung?«
Hunter nickte. »Ja, aber die Art und Weise, wie er seine Taten ausführt, spricht dagegen.«
»Warum das?«
»Weil er viel zu viel Zeit und Mühe in Planung und DurchÂführung der beiden Morde investiert hat.«
»Langsam, Superhirn, ich kann nicht ganz folgen.«
Hunter versuchte zu erklären. »Stimmungsschwankungen und extreme Persönlichkeitsveränderungen werden durch irgendetwas ausgelöst, in der Regel durch eine sehr heftige Emotion â wie Wut, Liebe, Eifersucht und so weiter. Sie geschehen nicht einfach aus heiterem Himmel. Für Âeinen bestimmten Zeitraum übernimmt dann diese neue PerÂsönlichkeit die Führung, aber sobald die auslösende Emotion weg ist, kehrt die Person zu ihrem normalen Selbst zurück.« Er schnippte mit den Fingern. »Als würde man aus einer Trance aufwachen. Wie lange, glauben Sie, kann so eine Trance andauern, Captain?«
Langsam begriff sie, worauf er hinauswollte. »Nicht lange genug.«
»Nicht lange genug«, wiederholte Hunter. »Der Killer hat die Bombe und dieses teuflische Messer selbst gebaut, ganz zu schweigen vom Auslösemechanismus. Er hat sich Zeit genommen, die Orte herzurichten, an denen er seine Opfer zurückgelassen hat, und dann hat er ihnen in aller Seelenruhe die Körperöffnungen zugenäht. All das kostet Zeit. Sowohl die Vorbereitung als auch die Ausführung der Tat.«
»Und das würde bedeuten, dass der Killer sich für Tage, vielleicht sogar Wochen in diesem anderen Persönlichkeitszustand befunden haben müsste«, fügte Garcia hinzu. »Sehr unwahrscheinlich.«
Hunter nickte. »Dazu kommt noch die vorherrschende Meinung der modernen Psychologie, dass es multiple Persönlichkeiten gar nicht gibt. Die Persönlichkeitsspaltung beziehungsweise dissoziative Identitätsstörung ist ein durch die Psychotherapie selbst hervorgerufener Zustand, der von einer
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