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Der Knochenjäger

Titel: Der Knochenjäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Lauf der Zeit zu »The Collect« verballhornt, ein viel treffenderer Ausdruck für das stark verschmutzte Gewässer). Das berüchtigte Viertel von Five Points - Anfang des 19. Jahrhunderts die gefährlichste Meile der Welt -, wo in einem einzigen Wohnblock, den heruntergekommenen Gates of Hell zum Beispiel, jedes Jahr zwei-, dreihundert Morde geschehen konnten.
    Aber Tausende von alten Gebäuden waren erhalten geblieben - Mietskasernen aus dem 19. Jahrhundert, Fachwerkhäuser aus der Kolonialzeit, Backsteinhäuser aus den ersten Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit, verschnörkelte alte Versammlungshallen, etliche öffentliche Gebäude, die im Auftrag des ebenso hochherrschaftlichen wie korrupten Kongreßabgeordneten Fernande Wood im »ägyptischen Stil« errichtet worden waren. Manche waren mittlerweile verfallen, die Fassaden von Unkraut überwuchert, die Böden von Baumschößlingen gesprengt. Doch viele waren nach wie vor bewohnt; dies war die Gegend, in der sich die politischen Skandale der Tammany Society zugetragen hatten, das Viertel der Arbeiter und Ausbeuterbetriebe, der Handkarren und Hinterhofklitschen, hier hatte das Henry-Street-Settlement-Haus gestanden und Minskys Variete, dies war die Heimat der berüchtigten Yiddish Gomorrha gewesen - der jüdischen Mafia. Ein Viertel, das so etwas hervorbringt, ist ziemlich unverwüstlich.
    In diese Gegend steuerte der Knochensammler jetzt das Taxi, in dem die Frau und ihre kleine Tochter saßen.
    Nachdem er bemerkt hatte, daß ihm die Polizei auf den Fersen war, verzog sich James Schneider einmal mehr wie eine Schlange - die er ja war - unter die Erde und nistete sich, wie man annimmt, in den Kellerräumen der seinerzeit so zahlreichen (und auch heute noch vorhandenen) Mietshäuser der Stadt ein. Danach verhielt er sich eine Zeitlang ruhig.
    Der Knochensammler hatte, während er nach Hause fuhr, nicht das Manhattan der neunziger Jahre dieses Jahrhunderts vor Augen -die koreanischen Schnellimbisse, die muffigen Frühstückslokale, die miesen Videoshops, die leerstehenden Boutiquen -, er sah vielmehr eine Traumwelt, belebt von Männern in Bowlerhüten und Frauen in raschelnder Krinoline, deren Rocksäume und Gamaschen vom Straßenschmutz besudelt waren. Haufenweise Kutschen und Kaleschen. Es roch nach Pferdemist und anderen, widerwärtigeren Ausscheidungen. ,
    Doch so übermächtig war sein übles Streben, so unersättlich der Drang, neuerlich eine makabre Sammlung zusammenzutragen, daß es ihn aus seinem Schlupfloch heraustrieb und er einem weiteren unbescholtenen Bürger auflauerte - diesmal handelte es sich um einen jungen Mann, der sich zum Studium in dieser Stadt niedergelassen hatte.
    Sie fuhren jetzt durch den berüchtigten Eighteenth Ward, einst die Heimat von nahezu fünfzigtausend Menschen, die in Tausenden von heruntergekommenen Mietshäusern zusammengepfercht waren. Die meisten Menschen stellten sich das neunzehnte Jahrhundert in Sepiatönen vor - wegen der alten Fotos. Doch das war falsch. Das alte Manhattan sah aus wie die Steine, aus denen es erbaut war. Farbe war seinerzeit sündhaft teuer, die Straßenbeleuchtung eher düster, und die qualmenden Fabrikschornsteine trugen ein übriges dazu bei, daß sich die Stadt in allerlei Grau- und Gelbtönen präsentierte.
    Schneider schlich sich von hinten an den armen Burschen heran und wollte soeben zuschlagen, als sich diesmal das Schicksal gegen ihn verschwor. Zwei Konstabler weilten in der Nähe, als der Überfall stattfand. Sie erkannten Schneider und nahmen die Verfolgung auf. Der Mörder floh gen Osten, über die Manhattan Bridge, jenes Wunderwerk moderner Technik, welches 1909, zwei Jahre vor diesen Ereignissen, vollendet worden war. Doch er blieb auf halbem Wege stehen, als er sah, daß von Brooklyn aus drei weitere Konstabler nahten, welche die Trillerpfeifensignale und Schüsse ihrer Kollegen aus Manhattan vernommen hatten.
    Von den Ordnungshütern umzingelt, stieg Schneider, der, wie es das Schicksal wollte, unbewaffnet war, auf das Brückengeländer. Er rief den Konstablern aberwitzige Schmährufe zu und verdammte sie dafür, daß sie sein Leben zerstört hätten. Als die Ordnungshüter näher rückten, sprang er vom Geländer in den Fluß. Eine Woche später entdeckte ein Flieger seine angeschwemmte Leiche am Gestade von Weifare Island nahe Hell Gate. Viel war nicht von ihm übrig, denn die Krabben und Schildkröten hatten sich an ihm gütlich getan und Schneider bis auf die Knochen abgenagt,

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