Der Knochenjäger
etwas mit sich machen lassen.«
»Was?« flüsterte Carole.
»Lassen Sie mich Ihre Haut entfernen.«
Sie blinzelte.
»Lassen Sie mich. Bitte«, flüsterte er. »Am Fuß. Nur an einem Ihrer Füße. Wenn Sie das tun, lasse ich Sie laufen.«
»Was ... ?«
»Bis auf den Knochen.«
Sie starrte ihn entsetzt an. Schluckte.
Was war schon dabei ? dachte er. Sie war da ohnehin schon so dünn, so knochig. Ja, sie hatte irgend etwas an sich, etwas, was sie von den anderen Opfern unterschied.
Er legte die Pistole weg und zog das Messer aus der Hosentasche. Klappte es mit einem furchterregenden Klicken auf.
Sie rührte sich nicht, warf einen kurzen Blick zu der Kleinen. Dann wieder auf ihn.
»Sie lassen uns laufen?«
Er nickte. »Sie haben mein Gesicht nicht gesehen. Sie wissen nicht, an welchem Ort Sie sind.«
Langes Schweigen. Sie sah sich in dem Kellerraum um. Murmelte etwas. Er meinte einen Namen zu hören. Ron oder Rob.
Dann blickte sie ihn entschlossen an, streckte die Beine aus und hielt ihm die Füße hin. Er zog ihr den rechten Schuh aus.
Er ergriff ihre Zehen. Knetete die zarten Knochen.
Sie lehnte sich zurück, so daß sich die herrlichen Sehnen an ihrem Hals abzeichneten. Kniff die Augen fest zusammen. Er strich mit der Klinge über ihre Haut.
Packte den Griff fester.
Sie schloß die Augen, atmete tief ein und wimmerte leise. »Mach schon«, flüsterte sie. Und drehte das Gesicht der Kleinen zur Seite. Umarmte sie und zog sie eng an sich.
Der Knochensammler stellte sie sich in viktorianischer Kleidung vor - Krinoline und schwarze Spitze. Er sah sie alle drei bei Delmonico sitzen oder gemeinsam die Fifth Avenue entlangspazieren. Er sah, wie die kleine Maggie, in schäumende Spitze gekleidet, mit einem Stock einen Reifen vor sich hertrieb, während sie über die Canal Bridge gingen.
Damals und heute...
Er setzte die fleckige Klinge an ihren Spann.
»Mami!« schrie die Kleine.
Es war, als berste irgend etwas in ihm. Einen Moment lang erfaßte ihn eine abgrundtiefe Abscheu vor dem, was er gerade tun wollte. Vor sich.
Nein! Er konnte es nicht tun. Nicht mit ihr. Mit Esther oder Hanna, ja. Oder mit der nächsten. Aber nicht mit ihr.
Der Knochensammler schüttelte bekümmert den Kopf und strich ihr mit dem Handrücken über das Jochbein. Er klebte das Band wieder über Caroles Mund und durchtrennte die Schnur, mit der ihre Füße gefesselt waren.
»Komm mit«, murmelte er.
Sie wehrte sich heftig, doch er packte ihren Kopf und drückte ihr die Nase zu, bis sie die Besinnung verlor. Dann legte er sie sich über die Schulter, ging zur Treppe und hob vorsichtig den Rucksack auf. Ganz vorsichtig. So etwas sollte man lieber nicht fallen lassen. Die Treppe hinauf. Nur einmal hielt er kurz inne und schaute zu der kleinen Maggie O'Connor mit dem lockigen Haar, die auf der Erde saß und ihn mit hoffnungslosem Blick anstarrte.
DREIUNDZWANZIG
Er schnappte die beiden vor Rhymes Stadthaus. Blitzschnell, so wie die Schlange, die Jerry Banks im Arm hielt, als wäre sie ein Souvenir aus Santa Fe.
Dellray und zwei weitere Agenten traten aus einer Seitengasse. »Hab 'ne Neuigkeit für euch, Schätzchen«, erklärte er lässig. »Ihr seid wegen Diebstahls von Beweismitteln aus den Asservaten der Bundesregierung verhaftet.«
Lincoln Rhyme hatte sich geirrt. Dellray hatte sich gar nicht zum FBI-Gebäude begeben. Er hatte Rhymes Quartier überwacht.
Banks verdrehte die Augen. »Immer mit der Ruhe, Dellray. Wir haben das Opfer gerettet.«
»Euer Glück, mein Junge. Andernfalls hätten wir euch nämlich wegen Mord drangekriegt.«
»Aber wir haben ihn gerettet«, sagte Sachs. »Nicht Sie.«
»Danke für den Hinweis, Officer. Strecken Sie die Hände aus.«
»Das ist doch Blödsinn.«
»Legen Sie der jungen Dame Handschellen an«, sagte das Chamäleon in filmreifem Tonfall zu dem Agenten neben ihm.
»Wir haben weitere Hinweise gefunden, Agent Dellray«, fing sie an. »Er hat wieder ein Opfer. Und ich weiß nicht, wieviel Zeit wir haben.«
»Ach, und ladet das Jüngelchen hier ebenfalls zu unsrer Party ein.« Dellray nickte zu Banks hin. Der drehte sich zu der FBI-Agentin um, die ihn festnehmen wollte, und einen Moment lang sah es aus, als überlegte er, ob er sie niederschlagen sollte.
»Nein, nein, nein«, sagte Dellray fröhlich. »Das wollen wir doch lieber lassen.«
Widerwillig streckte Banks die Hände aus.
Sachs, die vor Wut kochte, lächelte den Agenten kalt an. »Wie war die Fahrt nach
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