Der Knochenjäger
starrte entsetzt auf den mächtigen Holzbalken, der genau auf ihre Brust und ihr Gesicht zukam. Instinktiv riß sie die Hände hoch.
Knallend landete der Balken auf einem Kinderstühlchen. Blieb nur wenige Zentimeter über Sachs' Kopf liegen. Sie kroch darunter hervor und rappelte sich wieder auf.
Blickte sich im Kellerraum um, spähte durch den dichter werdenden Qualm.
Nein, verdammt noch mal, dachte sie plötzlich. Sie hatte nicht vor, noch ein Opfer zu verlieren. Keuchend wandte Sachs sich wieder dem Feuer zu und torkelte zu der Ecke, die sie noch nicht erkundet hatte.
Sie trabte gerade an einem Aktenschrank vorbei, als ihr jemand ein Bein stellte und sie zu Fall brachte.
Sachs streckte die Arme aus und landete beinahe mit dem Gesicht in einer Lache brennenden Öls. Sie rollte sich seitlich ab, zog die Waffe und brachte sie in Anschlag - genau auf das angstverzerrte Gesicht einer blonden Frau, die sich mühsam aufzusetzen versuchte.
Sachs riß ihr das Klebeband vom Mund, und die Frau spie schwarzen Schleim aus. Sie würgte einen Moment lang - eine Art tiefes Röcheln.
»Carole Ganz?«
Sie nickte.
»Ihre Tochter?« schrie Sachs.
»Nicht... hier. Meine Hände. Die Handschellen.«
» Keine Zeit. Kommen Sie.« Mit dem Taschenmesser durchschnitt Sachs Caroles Fußfessel.
Und dann sah sie die schmelzende Plastiktüte an der Wand neben dem Fenster.
Die fingierten Spuren! Die Hinweise auf den Aufenthaltsort der Kleinen. Sie wollte sie holen. Doch mit einem ohrenbetäubenden Knall zerbarst die Tür zum Heizungskeller, und ein fünfzehn Zentimeter breiter Strahl aus brennendem Öl schoß heraus, ergoß sich über den Boden und erfaßte den Beutel, der im Nu verglüht war.
Sachs starrte einen Moment lang darauf, dann hörte sie einen gellenden Schrei. Inzwischen stand die ganze Treppe in Flammen. Sachs kickte den Feuerlöscher unter dem schwelenden Tisch hervor. Handgriff und Düse waren weggeschmolzen, und das Metallgehäuse war zu heiß zum Anfassen. Mit dem Messer schnitt sie ein großes Stück Stoff aus ihrer Uniformhose, wickelte es sich um die Hand, packte den Feuerlöscher am Hals und schleuderte ihn die Treppe hinauf. Einen Moment lang blieb er kippelnd stehen wie ein von der Kugel gestreifter Kegel, dann rollte er abwärts.
Sachs zog ihre Glock und gab einen Schuß ab, als der rote Zylinder auf halber Höhe war.
Der Feuerlöscher zerplatzte mit einem gewaltigen Donnerschlag; wie Schrapnelle zischten die roten Gehäusesplitter über ihre Köpfe hinweg. Eine Wolke aus Kohlendioxyd und Löschpulver ergoß sich über die Treppe und erstickte vorübergehend den Großteil der Flammen.
»Los jetzt!« schrie Sachs.
Sie packte die Frau, schleppte sie mit sich, und gemeinsam hasteten sie die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, bis sie schließlich durch die Tür in das flammende Inferno im Erdgeschoß stürmten. Dicht an die Wand gedrückt, taumelten sie auf den Ausgang zu, als die bunten Glasfenster mit den farbenfrohen Abbildern von Jesus, Matthäus und Maria zerbarsten und in heißen Splittern auf die beiden Frauen herabregneten. Vornübergebeugt flüchteten sie aus der Kirche.
NEUNUNDZWANZIG
Vierzig Minuten später war Sachs gesalbt, verbunden und genäht, und sie hatte so viel reinen Sauerstoff eingeatmet, daß sie sich geradezu schwerelos vorkam. Sie saß neben Carole Ganz. Beide starrten auf die Überreste der Kirche. Viel war davon nicht mehr da.
Nur zwei Wände und seltsamerweise ein Teil des Obergeschosses, das über der Mondlandschaft aus Asche und Trümmern aufragte.
»Pammy, Pammy ...«, stöhnte Carole, dann würgte sie und spie aus. Sie legte ihre Sauerstoffmaske wieder an und lehnte sich erschöpft und schmerzerfüllt zurück.
Sachs betrachtete einen weiteren mit Alkohol getränkten Lappen, mit dem sie sich das Blut aus dem Gesicht wischte. Am Anfang waren die Lappen dunkelbraun gewesen; jetzt waren sie nur mehr rosa. Die Verletzungen waren nicht schlimm - eine Platzwunde an der Stirn, Brandblasen an Armen und Händen. Ihr Mund allerdings war nicht mehr makellos; die Unterlippe hatte bei dem Unfall einen tiefen Riß davongetragen, der mit drei Stichen genäht werden mußte.
Carole hatte eine leichte Rauchvergiftung erlitten und sich das Handgelenk gebrochen. Sie stützte die mit einem notdürftigen Gipsverband versehene linke Hand mit der rechten ab. Sie sprach stockend, wobei sie bei jedem Atemzug rasselnd keuchte. »Dieser Dreckskerl.« Sie hustete. »Warum
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