Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
aber nur zu dem Schluss gelangen, dass diese Fernsehreporterin uns unausgesprochen auf eine schwarze Liste gesetzt hatte und nur auf einen Anlass wartete, um uns eins auszuwischen.
Der Anlass kam wenig später. Mittlerweile schickten die medizinischen Sachverständigen von Tennessee mir in stetiger Folge immer wieder Leichen, auf die niemand mehr Anspruch erhob. Vielfach waren es Obdachlose gewesen, und wie sich herausstellte, waren einige dieser Obdachlosen - was ich nicht wusste - Kriegsveteranen.
Ich selbst habe während des Koreakrieges meinen Wehrdienst geleistet und hege den größten Respekt gegenüber den Männern und Frauen, die unser Land verteidigen. Niemals würde ich absichtlich einen Kriegsveteranen, ob tot oder lebendig, respektlos behandeln. Aber das alles spielte keine Rolle, als dem Channel 4 aus Nashville zu Ohren kam, auf der Body Farm würden ehrenvoll entlassene Kriegsteilnehmer im Freien verwesen.
Die erste Warnung, dass Schwierigkeiten bevorstanden, kam mit dem Anruf einer Journalistin, die mich um ein Interview bat. »Klar«, sagte ich, »kommen Sie her.« Den ganz Herbst über hielt ich Vorlesungen an der University of Tennessee in Martin, einer anderen staatlichen Hochschule, rund 500 Kilometer von Knoxville entfernt. Die Journalistin und ihr Kameramann kamen mit dem Auto aus dem 240 Kilometer entfernten Nashville. Während sie Kamera und Scheinwerfer aufbauten, sagte sie mir, sie habe alle Berichte über mich ausgegraben, die jemals in den Zeitungen von Knoxville gestanden hätten. Es waren Dutzende von Artikeln, aber als die Kamera lief, kreisten ihre Fragen nur um einen einzigen davon: den über die Proteste, die eine Gruppe namens S.I.C.K. - Solutions to Issues of Concern to Knoxvillians - im Jahr 1985 veranstaltet hatte. Etwa 45 Minuten lang fragte sie mich nach dem Protest und anderen Gegnern, dann fragte sie, ob sie meine Vorlesungsstunde filmen dürften. »Natürlich«, sagte ich, und so taten sie auch das. Anschließend setzte sie mir vor der Kamera noch einmal eine Dreiviertelstunde lang zu. Allmählich begriff ich, wie man sich fühlt, wenn man in einer Sendung wie 60 Minutes eine Stunde lang einem Reporter gegenübersitzt.
Ein paar Wochen später begleiteten mich meine Freunde von Channel 4 mit laufender Kamera zu einem Gastvortrag. Irgendwie fühlte ich mich verfolgt, aber ich wusste nicht genau, warum. Wegen des feindseligen Tons in dem 90-Minuten-Interview in Martin fürchtete ich allmählich, dass sie ein geheimes Ziel hatten, und das beunruhigte mich. Als sie dann fragten, ob sie auf der Body Farm filmen dürften, sagte ich nein.
Ein paar Wochen vergingen, dann kam ein Anruf vom Sicherheitsdienst der Universität: Ob ich bitte sofort zu der Forschungseinrichtung kommen könne? Als ich ankam, hielten sie den Kameramann von Channel 4 fest; er war mit seinem Auto bis zum Holztor der Forschungseinrichtung gefahren, hatte sein Stativ auf das Wagendach gestellt und alles gefilmt, was er innerhalb der Umzäunung erkennen konnte.
Ich war wütend. Als der Sender sich an mich gewandt hatte, war ich sehr bemüht gewesen, offen, ehrlich, entgegenkommend und fair zu sein. Hätten sie sich genauso verhalten, wäre ich gern weiterhin kooperativ gewesen, aber jetzt fühlte ich mich betrogen. Ich war mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt, dass hier eine Art Hexenjagd stattfinden sollte. Der Kameramann rief seinen Vorgesetzten bei Channel 4 an; der Sender rief seinen Anwalt an; der Anwalt rief den Anwalt der University of Tennessee an.
Einige Wochen nach dem filmischen Guerillaangriff sendete Channel 4 schließlich seinen Bericht. In einer vierteiligen Serie mit dem Titel Last Rights geißelte der Sender die angebliche Schändung verstorbener Kriegsteilnehmer durch die Body Farm. Manche Bilder stammten aus dem Material, das sie über unseren fast drei Meter hohen Zaun hinweg aufgenommen hatten, der größte Teil jedoch war aus dem LESAT-Lehrfilm entnommen - insbesondere die drastischen Bilder von Tyler O’Briens Untersuchung der Adipocire-Bildung bei Wasserleichen.
In meinen Augen zeichnete die Serie ein verzerrtes, sensationslüsternes Bild, aber vielleicht sahen die Fernsehleute darin ein Plädoyer für Würde und Anstand; auch ihren Einschaltquoten dürfte der Film nicht geschadet haben. Was auch ihre Ansichten gewesen sein mochten, der Bericht hatte weit reichende Folgen. In den Tagen nach der Sendung erhielt ich ständig Anrufe von wütenden Kriegsveteranen, entrüsteten
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