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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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wo die beiden Schambeine, die bogenförmig von den Hüftbeinen ausgehen, zusammentreffen. Bei jungen Erwachsenen ist die Oberfläche der Schambeinfuge uneben mit Höckern und Vertiefungen; bei Frauen Mitte 30 ist der Knochen dichter, und er hat eine glattere Konsistenz; vom 50. Lebensjahr an beginnt dann der Abbau der Knochenflächen. Mit seiner Doktorarbeit verfolgte Bob das Ziel, diese Veränderungen der weiblichen Schambeinfuge im Einzelnen festzuhalten und so den Anthropologen eine genauere Altersabschätzung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck brauchte er Schambeine, und zwar viele.
    Einige Gerichtsmediziner, mit denen er zu diesem Zweck Kontakt aufnahm, waren über sein Ansinnen entsetzt und lehnten ab. Dr. Jerry Francisco, der leitende medizinische Sachverständige des Staates Tennessee, hielt den Forschungsansatz jedoch für reizvoll und erkannte, welch wichtigen Beitrag er zur forensischen Wissenschaft leisten konnte. Er schickte Bob ein großes Paket mit Schambeinen und wurde für mich zu einem guten Freund, mit dem ich auf Fachtagungen regelmäßig Neuigkeiten austauschte.
    Als ich Jerry erzählte, dass ich nach Tennessee ziehen würde, fragte er mich, ob ich als forensischer Anthropologe in seiner Behörde mitarbeiten wollte. Das Honorar war nicht üppig - eine Pauschale von 150 Dollar pro Fall -, aber es versprach eine faszinierende Tätigkeit zu werden. Ungeheuer geschmeichelt, sagte ich sofort zu. Wenig später erhielt ich einen schicken Dienstausweis als Sonderberater der Staatspolizei von Tennessee. Später wurde mir klar, dass ich auch ein deftiges privates Beraterhonorar hätte berechnen können, wenn ich nicht als Staatsbediensteter an diesen Fällen gearbeitet hätte. Aber als ich das merkte, hatte ich den hübschen Titel und den eindrucksvollen Dienstausweis bereits so lieb gewonnen, dass ich sie für etwas so Gewöhnliches wie Geld nicht mehr hergegeben hätte. In den neunziger Jahren nahm ein besonders komplizierter forensischer Fall mehrere hundert Stunden meiner Arbeitszeit in Anspruch; mit meiner Fallpauschale von 150 Dollar verdiente ich dabei also noch nicht einmal einen Dollar in der Stunde. Andererseits verschaffte mir die Stellung aber auch das Privileg, im Zeugenstand eine Menge Gemeinheiten über mich ergehen zu lassen. Die Strafverteidiger spielten gern auf den Colonel Shy an, selbst wenn er in keinerlei Zusammenhang zum Fall ihres Mandanten stand. Sie wollten einfach bei den Richtern Zweifel an meiner Glaubwürdigkeit säen. (»Stimmt es nicht, Dr. Bass, dass Ihre Schätzung für die Zeit seit dem Tod in diesem Fall um fast 113 Jahre danebenlag?!«)
    Ich war noch dabei, mich für das erste Semester an der University of Tennessee einzurichten, da ging es schon los mit Anrufen, Fällen und Leichen. Es dauerte nicht lange, bis mir ein Unterschied zwischen Leichen aus Kansas und Tennessee auffiel. In Kansas hatte ich es in den meisten Fällen mit sauberen, von der Sonne gebleichten Skeletten zu tun gehabt, wie man sie auch in Hollywood-Western sieht. Dagegen merkte ich sehr schnell, dass Leichen aus Tennessee in den meisten Fällen eine verwesende Masse voller Maden waren. Von den Überresten der ersten zehn Menschen, die Gesetzeshüter aus Tennessee mir nach meiner Ankunft in Knoxville zur Untersuchung brachten, waren fünf über und über mit Maden bedeckt.
    Der Unterschied hatte seine Ursache in Geografie und Demografie: Kansas ist mit rund 212 000 Quadratkilometern knapp doppelt so groß wie Tennessee mit seinen 109 000 Quadratkilometern, hat aber nur knapp die Hälfte der Einwohnerzahl. Statistisch betrachtet, besteht also in Tennessee eine viermal größere Wahrscheinlichkeit, über eine frische Leiche zu stolpern, als in Kansas. (In Wirklichkeit ist der Unterschied sogar noch größer, weil die Bewohner von Tennessee im Durchschnitt früher sterben: Morde sind dort doppelt so häufig - ein Problem, mit dessen Lösung sich Vertreter eines anderen Fachgebietes beschäftigen sollten.) Da also in Tennessee viel mehr Leichen herumliegen und auf ihre Entdeckung warten - häufig werden sie von Jägern gefunden, die durch die Wälder streifen -, leuchtet es völlig ein, dass sie in der Regel schneller gefunden werden als die wenigen Leichen in Kansas, die dort in der riesigen, einsamen Prärie in aller Ruhe zu Skeletten werden können. Deshalb sind tote Bewohner von Tennessee in der Regel viel unsauberer, und sie riechen auch stärker.
    Aber der Gerechtigkeit musste Genüge getan werden.

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