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Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt

Titel: Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bass Jon Jefferson
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nach Kingston nehmen, und um ihm zu helfen, sagte ich zu, sie an der Universität zu behalten. Allerdings verfügte auch ich nicht über eine Kühlmöglichkeit. Da das Wochenende bevorstand, wickelte ich den Leichnam in Plastikfolie, verschloss die Hülle so gut wie möglich und verstaute ihn in der Putzmittelkammer einer Toilette nicht weit von meinem Büro. Ich weiß nicht genau, wie viele Menschen sich noch im Gebäude befanden, als der Hausmeister an jenem Wochenende den Fußboden des Korridors wischen wollte, aber ich nehme an, alle - und vermutlich auch ein paar Autofahrer, die gerade draußen vorüberkamen - hörten ihn, als er das stinkende Bündel in seinem Abstellraum öffnete und sah, was sich darin befand. Am Montagmorgen machte er mir in einer Sprache, die für Wissenschaftler und Seeleute gleichermaßen verständlich war, eines ein für alle Mal klar: Institutsleiter hin oder her, ich dürfte unter keinen Umständen noch einmal eine verwesende Leiche in seiner Besenkammer oder irgendwo sonst in seinem Gebäude deponieren. Ein Verstoß, so erfuhr ich, könne dazu führen, dass man wenig später auch meinen Körper ohne Kopf auffinden werde.
    Immer bereit, Anregungen aufzunehmen, wandte ich mich Hilfe suchend an meinen Vorgesetzten, den Dekan der Hochschule. Ich erklärte ihm unser kleines Dilemma, das er schnell und gelassen zur Kenntnis nahm. Er schlug das Telefonverzeichnis der Universität auf, blätterte in den Eintragungen der landwirtschaftlichen Abteilung, rief kurz jemanden an, und mein Problem war gelöst: Die Landwirtschaftsschule besaß außerhalb der Stadt mehrere Höfe, und auf einem davon stand ein leerer Schweinestall, der eigentlich nicht mehr als ein offener Schuppen war. Die einzigen Nachbarn des Anwesens waren Häftlinge eines Kreisgefängnisses, und die hatten vermutlich andere Sorgen als einen gelegentlichen Hauch von Verwesungsgeruch. Offensichtlich war es ein guter Ort, um Leichen vorübergehend aufzubewahren, bis wir sie reinigen und die Knochen untersuchen konnten.
    Ein paar Jahre lang klappte es gut. Irgendwann fiel mir jedoch etwas Seltsames auf: Hin und wieder fand ich eine Leiche in einer etwas anderen Lage vor als der, in der ich sie ein oder zwei Tage zuvor zurückgelassen hatte. Außerdem bemerkte ich Fußabdrücke und andere Spuren ungebetener Besucher. Schließlich fanden wir heraus, was dort vorging. Die Häftlinge von nebenan, die auf dem Gelände der Haftanstalt im Freien arbeiteten, hatten die gruseligen neuen Bewohner des Stalls entdeckt und Besichtigungstouren unternommen. Bisher war nichts gestohlen worden, aber ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass entscheidende kriminalistische Beweise verloren gingen - beispielsweise ein Schädel, in dem eine aufschlussreiche Kugel steckte.
    Als ich darüber nachgrübelte, dass wir eine neue Aufbewahrungsmöglichkeit brauchten, fiel mir Colonel Shy wieder ein. Von ihm erfuhr ich, dass es nicht ausreicht, Leichen nur abzulegen. Ich musste mehr tun, als nur das verwesende Fleisch von den Knochen zu entfernen; ich musste es studieren, beobachten, alles in Erfahrung bringen, was es mir über Tod und Verwesung sagen konnte. Solche Forschungsarbeiten konnte ich nicht in einem staubigen alten Stall durchführen, vor allem dann nicht, wenn er 45 Autominuten von meinen Büros und Labors entfernt war. Ich brauchte etwas Größeres, und zwar in der Nähe.
    Mittlerweile war ich seit fast sechs Jahren Leiter des anthropologischen Instituts. Aus einer Professorenstelle für physische Anthropologie waren mittlerweile drei geworden, und unser Lehrangebot hatte sich von Anfängerkursen zu einem richtigen Studiengang mit Promotionsmöglichkeit entwickelt. Allmählich wurden wir zum Anziehungspunkt für einige der begabtesten, besten Doktoranden im ganzen Land. Kurz gesagt, verfügten wir über die Mittel für etwas, das man zuvor noch nie versucht hatte: Wir konnten eine Forschungseinrichtung gründen, wie es sie auf der Welt noch nicht gab, eine Einrichtung zur systematischen Untersuchung mehrerer Dutzend und später sogar einiger hundert menschlicher Leichen; ein Labor, wo die Natur am sterblichen Fleisch unter den verschiedensten experimentellen Bedingungen ihren Lauf nehmen konnte. Wissenschaftler und Doktoranden sollten die Vorgänge in allen Stadien beobachten, Variablen wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit festhalten und den zeitlichen Ablauf der Verwesung systematisch erfassen. Wir würden den Faden da wieder aufnehmen, wo Sung

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