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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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ebenfalls einer. Die
    eigentliche Frage lautete, warum er darüber, verdammt noch mal, so überrascht sein sollte?
    Zu viele Jahre bei der Drogenfahndung, dachte er, wo
    Speedfreaks aussahen wie Speedfreaks, Straßendealer wie
    Straßendealer, wo jeder genau so aussah, wie er war. In diesem
    Sektor der Unterwelt konnte man mit fast makabrer Sicherheit davon ausgehen, genau das zu bekommen, was man sah. Eben das hatte
    Marty verlockt. Aber hier in der realen Welt trug fast jeder eine Maske. Als junger Mann hatte er das gewusst; sein Vater hatte es
    ihm beigebracht. Aber inzwischen hatte er es vergessen.
    Nichts von alledem war jetzt von Bedeutung, und er machte sich
    den Kopf frei, damit seine Gedanken mit halsbrecherischer
    Geschwindigkeit auf die Bahn gelenkt werden konnten, mit der er
    vertraut war. Das Wie und Warum und die Motivationen eines
    bewaffneten Gegenübers waren absolut irrelevant, wenn ein Polizist sich am falschen Ende einer Waffe wiederfand – es kam einzig und
    allein darauf an, was als Nächstes geschah.
    Er stand zu dicht an dem Jungen und gleichzeitig zu weit von
    ihm entfernt. Zu nahe, um einer Kugel auszuweichen, zu weit
    entfernt, um ihn zu entwaffnen. Mit ihm zu sprechen war die einzige Möglichkeit, die ihm blieb. «Was hast du vor, Jeff?»
    «Eine Angelegenheit zu regeln, Mr. Pullman.»
    Er beendete seine Sätze nicht mehr mit einem Fragezeichen,
    dachte Marty und versuchte das Gefühl zu verdrängen, dass er in
    einem Kreis rannte, der sich jeden Moment öffnen konnte, sodass er aus der Bahn getragen und in eine vorherbestimmte Richtung
    hinausgeschleudert wurde, die er selbst nicht geahnt hatte. Es lag eine gewisse Ironie darin, dass sein letzter ernst gemeinter
    Selbstmordversuch gescheitert war, weil Jeff Montgomery
    aufgetaucht war, um ihm zu berichten, dass Morey tot war, und dass dieser Junge, der ihm unwissentlich das Leben gerettet hatte, jetzt eine Waffe auf ihn richtete.
    «Und was für eine Angelegenheit soll das sein?», fragte Marty so
    locker, wie er konnte.
    Es überraschte ihn ein wenig, dass Jeff ihn anlächelte. «Ich
    glaube, Sie müssen ein ausgezeichneter Polizist gewesen sein, Mr.
    Pullman. ‹Gewinnen Sie die Aufmerksamkeit Ihres Gegners, wenn
    Sie sich im Nachteil befinden. Leiten Sie ein Gespräch ein, lenken Sie ab…›. Das ist direkt aus dem Handbuch.»
    «Kein Handbuch, das ich gelesen habe.»
    «Würden Sie sich bitte umdrehen, Mr. Pullman. Dann heben Sie
    mit der rechten Hand Ihr Hemd hoch und ziehen mit der linken die
    Waffe aus Ihrem Hosenbund. Benutzen Sie dazu nur zwei Finger.
    Danach drehen Sie sich wieder um, bis Sie mich ansehen, und
    schieben die Waffe mit Schwung hier rüber, weit rechts von mir,
    wenn es Ihnen nichts ausmacht.»
    «Du willst mir doch nicht in den Rücken schießen, Jeff?»
    «Ganz sicher nicht, Sir. Das würde ich nie tun. Es wäre nicht
    ehrenhaft.»
    Komischerweise glaubte Marty ihm, aber trotzdem bewegte er
    sich einen Moment nicht, leicht entnervt von der penetranten
    Höflichkeit dieses eigenartigen Jungen.
    Er drehte sich halb um und blickte zu Jack, der vornübergebeugt
    auf dem Sofa saß, ein wenig schwankend, und sich an den Knien
    festhielt. Am schlimmsten wirkten seine Augen – sie waren nicht vor Angst geweitet, sondern nur groß und traurig und reumütig, als
    Marty ihn ansah.
    Marty zwinkerte ihm zu, hob sein Hemd und zog mit zwei
    Fingern vorsichtig die Waffe heraus, wie Jeff ihm aufgetragen hatte.
    Dann drehte er sich wieder zu ihm um. «Du willst doch nicht, dass ich dir die Waffe zuschiebe, bevor sie gesichert ist, Jeff?»
    «Sie war bereits gesichert, bevor Sie sie in Ihren Hosenbund
    gesteckt haben, Mr. Pullman. Verkaufen Sie mich bitte nicht für
    dumm.»
    Scheiße, der Bengel blickte durch, aber Marty stand noch immer
    da mit der Waffe an der Seite und dachte, wie schwer sie war, wenn man nur zwei Finger benutzen konnte. Seine Gedanken überschlugen
    sich bei dem Versuch, die Möglichkeiten abzuwägen, die sich ihm
    boten.
    Man gibt seine Waffe niemals weg. Punkt. Das ließ ihm zwei
    Möglichkeiten. Er konnte die Waffe rüberschieben und dann den
    kurzen Augenblick nutzen, wenn Jeff sich bückte, um sie
    aufzuheben, und auf ihn hechten; oder er konnte sich ein wenig
    ducken, als würde er Jeffs Wunsch nachkommen, aber sie stattdessen zu Jack schlittern lassen und sich dann aufrichten und den Jungen angreifen. Nach eigener Aussage war Jack ein guter Schütze, und
    wenn er schnell reagierte, konnte er

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