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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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alter
    Bulldozer. Der Regen hatte ihr das weiße Haar auf den Kopf
    geklatscht, lief an ihren Brillengläsern hinunter, trommelte auf ihre geraden Schultern. Die uniformierten Polizisten traten beiseite und ließen sie durch. Sie ging direkt dorthin, wo Marty lag, und kniete sich neben Jack. Für die Leiche von Jeff Montgomery hatte sie
    keinen Blick übrig. Magozzi stand auf und trat zurück.
    Sie musste sehr dicht an ihn herankommen, damit Marty sie sah.
    Aus irgendeinem Grund hatte er Probleme mit seinen Augen, und
    das war eigenartig, denn er war doch in die Brust getroffen worden.
    «Bist du es, Lily?»
    «Wer sonst?»
    «Ich bin bei dir», sagte sie, legte ihm ihre alten, knochigen Finger auf die Stirn und spürte die Kälte des Todes.
    «Jack hat dir etwas zu erzählen», flüsterte er. Seine Zunge
    wanderte zur Seite und fand Blut.
    «Ich weiß. Ich werde ihn anhören. Sei du jetzt still.»
    «Ein bisschen spät dafür.»
    Die Tränen liefen Jack übers Gesicht und tropften ihm vom Kinn
    auf die nackte Brust, bis sie dann über die Rundung seines albernen kleinen Bauches rollten. «Halt jetzt die Klappe, Marty, halt
    verdammt noch mal die Klappe. Du bist bald wieder okay. Ich
    schwöre bei Gott, dass du bald wieder okay bist…»
    Marty fielen die Augen zu, als er zu sprechen versuchte. Sein
    Brustkorb hob sich vor Anstrengung und fiel gleich darauf in sich zusammen.
    «Jack», sagte Lily sanft. «Er wird nie wieder okay sein. Er stirbt.
    Lass ihn sagen, was er sagen will.»
    Martys Lächeln war ein trauriges Graublau, aber als er die Augen
    wieder öffnete, waren sie klar, konzentriert und funkelnd. «Mein
    Gott, wie ich dich liebe, Lily», flüsterte er. «Ich habe nur versucht, das Richtige zu tun.»
    Sie lächelte ihm zu. «Immer hast du nur versucht, das Richtige zu tun. Denn so bist du eben. Ein guter Mann. Ein guter Sohn, Martin», flüsterte sie und sah, wie seine Augen sich zum letzten Mal
    schlossen.
    Kaum mehr als einen Schritt entfernt wandte Magozzi sein
    Gesicht zur Wand, bemerkte einen Holzsplitter, der aus der Täfelung hervorstand, und starrte ihn an. Er konnte Jack schluchzen hören, er konnte hören, wie einige der Polizisten nahe der Tür schnieften, er konnte Gino draußen schreien hören: «Scheiße, wo bleibt der
    verdammte Krankenwagen?» Doch über all dem hörte er den Wind,
    der wieder stärker wurde, und den Regen, der wieder heftiger fiel und auf die Welt einhämmerte.
    Schließlich hörte er die Sirenen.
    Die Sanitäter bearbeiteten Marty Pullman volle zehn Minuten
    lang, taten all die fürchterlichen Dinge, die sie mit Menschen
    anstellen, die sie nicht verlieren wollen. Sie taten es pro forma, denn sie wussten schon nach einem ersten Blick, dass es sinnlos war, aber die Polizisten und Angehörigen, die Spalier standen und zuschauten, brauchten es. Als sie schließlich ihre Geräte zusammenpackten,
    aufstanden und zurücktraten, weinte einer von ihnen ganz ungeniert.
    Er hatte vor einer Million Jahren bei den Minnesota-Meisterschaften gegen Marty Pullman gerungen und gelacht, als er verlor, denn der Versuch, Martys Monsterschultern zu Boden zu pressen, glich dem
    Versuch, einen Gorilla aufs Kreuz zu legen.
    Jack hatte sich weit genug entfernt, um den Sanitätern
    Ellbogenfreiheit für ihre Arbeit zu geben, aber auch nicht weiter.
    Kaum waren sie gegangen, kniete er wieder an Martys Seite, denn er sah so traurig aus, wie er ganz allein dort lag.
    Die Polizisten kamen einer nach dem anderen zur Tür herein und
    sahen in stummer Reverenz auf einen der ihren hinunter, bevor sie wieder hinausgingen und im prasselnden Regen verschwanden. Als
    sie die Türöffnung nicht mehr abschirmten, wurde der Regen vom
    Sturm auf Martys Leiche getrieben und wusch das Blut von seiner
    Brust.
    Gino, Magozzi und Lily standen nahe der Türöffnung, und
    irgendwie hatte Lilys Hand sich in die Magozzis gestohlen. Sie
    fühlte sich winzig an und zerbrechlich und traurig. Es würden einige Augenblicke relativer Ruhe folgen, bevor die Kriminaltechniker über den Tatort herfielen, um den Tod zur Wissenschaft zu machen. Zu
    viele Augenblicke, um Jack Gilbert ganz allein dort sitzen zu lassen, dachte Gino. Er bemühte sich, mürrisch zu sein, weil er Jack Gilbert nicht leiden konnte, stemmte sich aber nichtsdestoweniger von der Wand ab, um hinüberzugehen und sich neben Jack zu stellen.
    Nachdem das viele Blut weggewaschen war, bemerkte Gino die
    lange gezackte Narbe auf Martys regloser Brust. «Großer

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