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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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Gott»,
    murmelte er. «Woher hat er die Narbe?»
    «Sein Vater», sagte Jack. Seine Stimme war so leblos wie der
    Mann neben ihm.
    «Was?»
    «Sein Vater hat ihm die Schnittwunde beigebracht, als Marty
    noch ein Junge war.»
    «Verdammt.» Gino schloss kurz die Augen und dachte daran, wie
    viel Lebensgeschichte einen Menschen letztlich ausmachte, dass man nie alles über jemanden wusste und dass es überall Ungeheuer gab.
    Er drehte sich um, als der Regen von einer besonders starken Bö
    zur Türöffnung hineingepeitscht wurde und mit einem widerwärtig
    schmatzenden Geräusch auf Martys bloße Haut traf. Ginos
    Gedanken eilten zurück zum Beginn dieses Falls, zu Lily Gilbert, die die Leiche ihres Mannes aus dem Regen nach drinnen geschafft und
    dadurch seinen so geschätzten Tatort kontaminiert hatte. Als er zu ihr schaute, wie sie da neben Magozzi stand, blickte auch sie gerade durch ihre dicken Brillengläser zu ihm herüber. Sie weinte nicht, sie sagte nichts, sie sah ihn nur an.
    Gino blickte wieder hinunter auf Martys Gesicht, auf das der
    Regen fiel, und verstand ein paar Dinge.
    Magozzi zog eine Augenbraue in die Höhe, als er sah, wie Gino
    in die Hocke ging, mit den Armen unter Marty Pullmans Schultern
    und Knie griff, den Toten aufhob und aus dem Regen zum Sofa trug, wo er ihn sanft ablegte.
    Als Gino sich umdrehte, sah Lily ihn noch immer an. Sie nickte
    einmal und ging dann hinüber, um sich hinter Jack zu stellen. Sie legte ihm die Hände auf die bebenden Schultern, beugte sich vor, um ihn auf den Scheitel zu küssen, und flüsterte: «Komm, kümmere dich um deine Mutter. Ihr bricht das Herz.»

    Chief Malcherson war innerhalb einer halben Stunde nach der
    Schießerei eingetroffen, um mit den Ermittlungen zu beginnen. Er
    nahm die Aussagen von Magozzi und Gino auf, ließ sich Magozzis
    Waffe geben und leitete sämtliche Maßnahmen ein, die ergriffen
    werden mussten, wenn ein Officer im Dienst tödliche Gewalt
    angewendet hatte. Formal war Magozzi suspendiert, bis die
    Dienstaufsicht die Umstände des Todes von Jeff Montgomery
    geklärt hatte – Gino musste alle Berichte unterschreiben, die bis dahin abgefasst wurden –, aber Malcherson dachte keine Sekunde
    daran, ihn nach Hause zu schicken. Erstens hätte Magozzi sich dem widersetzt, was zu einer unschönen und untragbaren Situation
    geführt hätte, denn sie wären beide gezwungen gewesen, auf ihren
    Positionen zu beharren, was der Untersuchung nur schaden konnte.
    Zum anderen kannten und vertrauten die Gilberts ihm, und wenn es
    einen Schlüssel gab, diesen Fall abzuschließen, dann besaßen ihn die Gilberts. Manchmal befolgte man die Vorschriften buchstabengetreu, und manchmal tat man es nicht. Malcherson blieb, während Jimmy
    Grimm und sein Team die Spuren am Tatort sicherten, und entließ
    Gino und Magozzi um zehn Uhr, damit sie mit den Gilberts sprechen konnten.
    Sie folgten dem Kiespfad zwischen den Anzuchtbeeten zum
    Haus. Kleine bunte Quarzsplitter funkelten und glitzerten trotz des heftigen Regens im Schein ihrer Taschenlampen. Wenigstens waren
    die Blitze fürs Erste nach Osten abgewandert. Aber eine weitere
    Reihe von Gewitterstürmen näherte sich von Westen – laut Jimmy
    Grimm würde die Superzelle, die Minnesota die Unwetter bescherte, sie noch die ganze Nacht bedrohen –, aber es gab erst mal eine
    Verschnaufpause, bevor die nächsten Stürme loslegten.
    Lily empfing sie an der Hintertür. Sie trug trockene Hosen und
    ein kurzärmeliges Hemd. Magozzi sah die sehnigen Muskeln ihrer
    dünnen Arme und die Tätowierung über ihrem Handgelenk. «Haben
    Sie Nachrichten über Officer Becker?», waren die ersten Worte aus ihrem Mund.
    «Er wird durchkommen», sagte Gino. «Montgomery hat nicht auf
    ihn geschossen, sondern ihm einen Schlag auf den Kopf versetzt.»
    «Wohin hat man ihn gebracht?»
    «Ins Hennepin County, glaube ich.»
    «Ein netter Junge. Ich muss ihm Blumen schicken, bevor Sie uns
    in Gefängnis bringen.»
    Gino und Magozzi tauschten verdutzte Blicke aus. «Wir sind
    nicht hier, um Sie ins Gefängnis zu bringen, Mrs. Gilbert.»
    «Noch nicht, vielleicht. Kommen Sie herein. Wir haben auf Sie
    gewartet.»
    Sie führte die beiden in die Küche, wo Jack bereits am Tisch saß.
    Er war inzwischen trocken und nüchtern und trug einen
    altmodischen karierten Hausmantel, der bestimmt seinem Vater
    gehört hatte. Die Ärmel waren mehrere Male umgekrempelt, was
    Magozzi daran erinnerte, ein wie hoch gewachsener Mann Morey
    Gilbert

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