Der Köder
höflich alle Fragen beantworteten, die man ihnen stellte.
Verständlicherweise schienen die beiden College-Studentinnen,
die die Leiche ihrer Großmutter gefunden hatten, am ärgsten
mitgenommen. Schluchzend streichelten sie fast zwanghaft eine
verstörte Katze, die sich zwischen ihnen aufs Sofa gekauert hatte.
Ihrer Mutter, Rose Klebers Tochter, war das ganze Ausmaß einer
bodenlosen Verzweiflung anzusehen, die sehr viel tiefer reichte. Ihr Ehemann lief aufgeregt zwischen den Mitgliedern seiner kleinen
Familie hin und her, tätschelte Schultern und Köpfe und verteilte Umarmungen, als handelte es sich dabei um Zaubertränke. Auch er
weinte, bemühte sich aber, Haltung und Würde zu bewahren. Wer
immer Rose Kleber gewesen sein mochte, sie war innigst geliebt
worden.
Nein, keiner von ihnen hatte Morey Gilbert persönlich gekannt,
und soweit sie wussten, auch Rose nicht. Die Tochter hatte ihre
Mutter jeden Tag besucht und konnte sich nicht vorstellen, dass ihr eine Freundschaft der beiden alten Leute entgangen sein sollte. «Wir haben gelegentlich in der Gärtnerei eingekauft», erzählte sie, «und es mag schon sein, dass er uns das eine oder andere Mal bedient hat.
Aber, ehrlich gesagt, ich kann mich daran nicht erinnern.»
«Können Sie sich einen Grund vorstellen, warum Ihre Mutter
seine Nummer in ihrem Telefonbuch hatte?», hatte Gino gefragt.
«In der Gärtnerei werden kleine Plastikschildchen mit der
Telefonnummer zu jeder Topfpflanze gesteckt. Ich nehme an, sie hat die Nummer von einem dieser Schildchen abgeschrieben.»
Sie hatten danach noch ein paar weitere Fragen gestellt. Womit
Rose Kleber ihre Zeit verbrachte und welchen Organisationen sie
angehörte. Die schwierigste Frage von allen betraf die Tätowierung auf ihrem Arm. Aber die Familie wusste nichts über Rose Klebers
Zeit in den Lagern vor einem halben Jahrhundert. Sie hatte sich
immer geweigert, darüber zu sprechen.
Als Magozzi den Wagen zum Stehen brachte, öffnete Gino auch
schon seine Tür und stieß sie weit auf. «Das war ja der reine
Horror», schimpfte er und durchbrach das düstere Schweigen, in das sie verfallen waren, seit sie das Haus von Rose Klebers Tochter
verlassen hatten. «Aber weißt du was? Das war echte Trauer. So müssten sich Lily Gilbert und ihr mieser Trunkenbold von Sohn
eigentlich auch verhalten, es sei denn, einer von ihnen hat den armen alten Kerl umgebracht.»
Magozzi seufzte und löste seinen Sicherheitsgurt. «Die
Menschen trauern auf verschiedene Weise, Gino.»
«Erzähl mir nicht solche Scheiße. Äußerlich mag es zwar
verschieden aussehen, aber man erkennt doch, wann es Menschen
das Herz bricht, weil jemand gestorben ist, und ich kann nur sagen, bei den Gilberts sehe ich davon nichts – außer vielleicht bei Marty.
Langsam glaube ich, dass er der Einzige von der ganzen Mischpoke
ist, dem wirklich an dem alten Mann gelegen ist. Jesus, Leo, habe ich in letzter Zeit mal erwähnt, das dies das schäbigste und armseligste Stück Garten ist, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe?»
Und damit schob Gino den Kummer der Kleber-Familie, die
Morde und die Ermittlungen beiseite, holte sich zurück ins Hier und Jetzt und zog Magozzi mit sich.
Der atmete tief durch, fühlte sich erleichtert und grinste seinen Partner an. «In letzter Zeit nicht.»
Sie stiegen aus dem Wagen und gingen über Grasbüschel,
zwischen denen große Flecken bloßer Erde lagen. «Weißt du, wie es hier aussieht? Wie der Kopf von Viegs, mit all den kahlen Stellen und den vereinzelten Haarbüscheln.»
«Es soll so aussehen», sagte Magozzi trotzig. «Man nennt das
Xeri-Scaping.»
«Zero-Scaping?»
«Nein, Xeri, mit X.»
«Hast du dir das gerade ausgedacht?»
«Nein. Habe ich nicht. Es ist ein Wort für eine bestimmte
Gartengestaltung, bei der man einheimische Pflanzen benutzt, die
nicht viel Pflege erfordern.»
«Du meinst den Löwenzahn da und die Ackerquecke?»
«Genau.» Magozzi schloss die Tür auf und bedeutete Gino
einzutreten. «Mach die Würstchen fertig, und ich werfe den Grill
an.»
Als die Kohle richtig schön glühte, war Gino mit den
Vorbereitungen in der Küche fertig und ins Wohnzimmer gewandert.
Er ließ den Blick über die nackten Wände schweifen, den
Ledersessel und den einen Beistelltisch, auf dem eine dieser billigen Halogenlampen stand. «Und wie nennst du das? Xeri-Design im
Wohnzimmer?»
«Nein, Minimalismus.»
Gino schüttelte den Kopf. «Jämmerlich ist das, eine
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