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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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Baseball. Das sind Gentlemen, die da spielen.
    Die schubsen sich nicht gegenseitig um und lächeln wenigstens mal, wenn ihnen was Gutes gelungen ist.»
    Er sah nachdenklich zu, wie sie sich in das Spiel vertiefte, und
    ihm wurde bewusst, dass er in all den Jahren der Liebe zu ihrer
    Tochter nur herzlich wenig über Lily erfahren hatte. Die meiste Zeit hatte er mit Morey verbracht. Es war die althergebrachte
    Geschlechtertrennung, die sich einstellt, wenn Familien
    zusammenkommen. Lily war die geheimnisvolle Person in der
    Küche, aber Morey war der Mann, der Freund, der Ersatzvater, den
    er zu lieben gelernt hatte und der ihm so vertraut geworden war.
    Vom Angeln hatte er nichts gewusst, und das beunruhigte ihn.
    Am Ende hatte er Morey doch nicht so gut gekannt, wie er dachte.
    Er ließ seine Gedanken zu einem Tag vor gut einem Jahr
    zurückwandern, kurz bevor sein Leben aus den Fugen geraten war.
    Er und Morey hatten Hannah und Lily zu einem Antiquitätenhändler
    fünfzig Meilen nördlich der Stadt gefahren, bei dem die Preise
    doppelt so hoch waren wie bei allen anderen, die näher an der Stadt lagen. Auf dem Rückweg hatten sie an einer ländlichen Tankstelle
    gehalten, um Eiscreme und Getränke zu kaufen.
    «Marty, komm doch mal her. Sieh dir das an.» Morey stand vor
    einem hohen Kühlschrank, in dem Milch, Käse und andere
    verderbliche Lebensmittel aufbewahrt wurden. Aber sein Interesse galt einem Wasserbehälter mit einer lärmenden Sauerstoffpumpe, der dicht daneben stand. Er schüttelte den Kopf.
    Marty spähte in den Tank und verzog das Gesicht beim Anblick
    der schwarzen Masse aus zappelnden Blutegeln. Oben auf dem Tank wanden sich die verschiedensten Würmer in Gläsern mit Sägespänen und Erde. «Ist ja ekelhaft. Was ist denn bloß los mit diesen
    Würmern? Wieso kriechen die weißen in Sägespäne?»
    «Woher soll ich das wissen?» Morey winkte einen jungen
    Verkäufer herbei. «Verstößt das nicht gegen die
    Gesundheitsvorschriften?»
    «Äh – sind Sie Kontrolleur oder so was?»
    «Nein, nein, ich bin kein Kontrolleur, aber ich verfüge über
    gesunden Menschenverstand. Da werden Blutegel neben der Milch aufbewahrt.»
    «Und Würmer», fügte Marty hinzu.
    «Das sind Lebendköder», erwiderte der Ladenschwengel. «Der
    Tank da ist der Behälter für die Lebendköder, und oben drauf stehen die Köder, die nicht im Wasser leben.»
    Morey ranzte ihn an: «Die sind aber auch lebendig. Die bewegen sich doch. Einfach widerwärtig.»
    «Hm – zu uns kommen viele Angler.»
    «Angeln. Pfui. Und diese Leute nennen sich auch noch Sportler.
    Was für eine Art Sport soll das sein? Hilflose Kreaturen auf einen Haken zu spießen, damit man sie ins Wasser werfen kann, um noch größere hilflose Kreaturen aufzuspießen?»
    «Na ja, es sind doch nur Würmer und Blutegel und so was.»
    «Für Sie vielleicht. Haben Sie den Spielberg-Film gesehen?»
    «He, ja, Mann. Ich hab sie alle gesehen.»
    «Tatsächlich. Ich bin beeindruckt. Sie haben ‹Schindlers Liste›
    gesehen?»
    «Hm – sind Sie sicher, dass der von Spielberg ist?»
    «Schon gut. Ich rede von dem mit den Dinosauriern.»
    «Oh ja, ‹Jurassic Park›, klar, hab ich viermal gesehen. Die
    Fortsetzungen waren irgendwie schlapp, aber der erste ging richtig gut ab.»
    «Dann werden Sie sich daran erinnern, dass sie eine Ziege
    angebunden haben, um den großen Dinosaurier anzulocken?»
    «Oh ja, das war fies.»
    «Und hat Ihnen die kleine Ziege leidgetan?»
    «Na ja, irgendwie schon. Ich meine, die hatte doch Angst, hat gewimmert und so.»
    «Ein lebender Köder. Wie diese Würmer.»
    Der Verkäufer sah Morey verständnislos an.
    Morey hob einen mahnenden Finger. «Hier gibt es eine wichtige Lektion zu lernen. Wissen Sie, wie die lautet? Ich werde es Ihnen sagen. Des einen Mannes Wurm ist des anderen Mannes Ziege.
    Denken Sie daran.»
    Sie irrt sich, dachte Marty, als er von seiner Gedankenreise
    zurückkam. Egal, was Lily sagen mochte, egal, was sonst jemand
    sagte – Morey Gilbert war kein Angler gewesen.

    KAPITEL 19

    Die ungewöhnliche Hitze hielt auch am Morgen von Morey Gilberts
    Beerdigung an, und die Meteorologen sagten einen weiteren
    sonnigen Tag mit Temperaturen um die dreißig Grad voraus. Überall im Staat saßen die Oldtimer auf ihren Veranden, brutzelten in der Sonne und blätterten in ihren zerlesenen Bauernalmanachen, als handele es sich um die Schriften des Nostradamus. Sie suchten in der Geschichte Minnesotas nach einer ähnlichen

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