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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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dass ihr die Stimme genommen war, aber es gelang ihr, die Hände auf den Bauch zu legen und ihm mit den Augen die Frage zu stellen.
    «Es ist okay, Hannah», beruhigte er sie, und als könnte er
    verhindern, dass das Leben entwich, presste er eine Hand so fest auf ihren Hals, wie er sich traute. «Dem Baby geht es gut. Dem Baby geht es gut.»
    Das sagte er ihr wieder und immer wieder, bis ihre Augen
    erloschen und ihre Hand leblos auf den Betonboden rutschte.
    Der Krankenwagen kam nach fünf Minuten. Er war nur drei
    Minuten zu spät.
    Marty hatte nicht gehört, wie der Junge davonlief. Aber an das Gesicht konnte er sich erinnern.
    Bewegungslos stand er lange Momente vor dem Schrank, atmete
    und kehrte langsam zurück. Die Bilder jenes Abends waren immer
    bei ihm. Jeden Tag rief er sie sich vor Augen. Aber niemals war die Erinnerung ganz vollständig gewesen, waren die Bilder so grausam
    und lebendig gewesen wie jetzt. Er hatte immer gewusst, dass er sich eines Tages wieder an das gesamte entsetzliche Geschehen erinnern würde, und er hatte mit der Gewissheit gelebt, dass er dann endlich in der Lage sein würde abzudrücken.
    Es nahm ihm den Atem, als ihm bewusst wurde, dass er sich
    geirrt hatte. Er hatte eine Waffe in der Tasche und verspürte keine Neigung, sie zu betätigen. Er hatte das Schlimmste gesehen, was sein Erinnerungsvermögen anzubieten hatte, und jetzt spürte er
    wunderbarerweise, dass er es loslassen konnte.

    Lily saß mit einem Buch auf dem Schoß auf ihrem Stuhl, als er
    wieder ins Haus kam. Sie hatte sich in einen lila Frotteemantel
    gehüllt und trank Wasser aus einem bunt gestreiften Glas. Sie klopfte auf die Armlehne des Sofas neben ihrem Stuhl. «Setz dich einen
    Augenblick. Du warst lange weg. Ich habe mir schon Sorgen
    gemacht.»
    Marty setzte sich aufs Sofa und sank in die Kissen zurück, die im Laufe der Jahre von geliebten Menschen weichgesessen waren.
    «Minneapolis ist nicht mehr so sicher, dass man sich jederzeit auf der Straße herumtreiben kann. Du brauchst dir natürlich keine
    Sorgen zu machen, mit der Waffe in der Tasche.»
    Marty schmunzelte. Lily entging aber auch gar nichts.
    «Aber Waffen sind gefährlich. Sie könnte losgehen, und du
    könntest dich aus Versehen selbst erschießen.»
    «Ich werde mich nicht selbst erschießen, Lily.»
    Lily legte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn. «Gut zu hören, Marty. Dann habe ich mir all die letzten Monate umsonst Sorgen
    gemacht.»
    Marty sah in hellblaue alterslose Augen und fragte sich, was
    geschehen würde, wenn jemand in dieser Familie einmal die
    Wahrheit sagen würde. «Ich habe daran gedacht», sagte er, um das
    Terrain zu sondieren.
    «Du scheinst weiterhin daran zu denken, wenn du eine Waffe
    trägst.»
    Das mit der Wahrheit schien sich gut anzulassen. Marty
    entschied sich, es noch mal zu versuchen. «Jack hat mich gebeten, nach Hause zu fahren und sie zu holen. Er macht sich Sorgen wegen der Morde und möchte, dass ich ein Auge auf dich habe.»
    Lily trank einen Schluck Wasser, ohne ihn anzusehen. «Das hat
    er gesagt?»
    «Hat er.»
    «Hm. Also habe ich jetzt einen Leibwächter? Du ziehst hier ein
    und bleibst für immer? Das ist ein sehr großer Koffer, den du da
    mitgebracht hast.»
    Marty lächelte ein wenig müde und sah hinunter auf den alten
    Tweed-Samsonite, den Hannah und er sich für ihre Flitterwochen
    gekauft hatten. «Ich werde bleiben, bis die Polizei herausgefunden hat, wer hier mordet.»
    Sie setzte ihr Glas sehr behutsam auf dem Tisch ab und schob
    sich aus ihrem Stuhl in die Höhe. «Dann kannst du ihn genauso gut auch auspacken.»
    Marty hängte gerade sein letztes Paar Khakihosen in den
    Schlafzimmerschrank, als er ein leises Klopfen an der Tür hörte.
    Ohne auf Antwort zu warten, trat Lily mit einem Stapel penibel
    zusammengelegter Kleidungsstücke ein und setzte ihn auf dem Bett
    ab.
    Er blickte unsicher auf die blendend weißen Boxershorts, die
    oben auf dem Stapel lagen. «Gehören die mir?»
    «Ich habe sie den ganzen Tag in Bleiche einweichen müssen.
    Hast du schon mal was von Bleiche gehört?»
    Er ging zum Bett und hob die Boxershorts hoch. Sie hatten vorne
    rasiermesserscharfe Bügelfalten. «Du hast meine Unterwäsche
    gebügelt?»
    Sie zuckte die Achseln. «Leben wir im Urwald? Natürlich habe
    ich sie gebügelt.» Sie tippelte zum Wandschrank und untersuchte die Khakihosen, die er gerade erst aufgehängt hatte. «So kann man doch keine Hosen aufhängen», sagte sie, zog ein Paar nach

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