Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
dem Zufallsprinzip auszuwählen und mit einer Patientengruppe zu vergleichen, die ein Placebo erhalten hatte. Durch »Randomisierung« der Versuchspersonen, also die zufällige Verteilung der Patienten auf die Prüf- beziehungsweise Vergleichsgruppe, lässt sich jede ärztliche Befangenheit vermeiden. Neutralität ist gewährleistet, und damit kann eine Hypothese streng objektiv überprüft werden.
Hills randomisierte Studie war ein Erfolg. Die Streptomycingruppe zeigte eine signifikante Verbesserung gegenüber der Placebogruppe, und damit war das Antibiotikum als neues Heilmittel gegen Tb etabliert. Vielleicht noch wichtiger war, dass Hills methodologische Erfindung auf Dauer etabliert war. In der medizinischen Forschung ist die randomisierte kontrollierte Studie seither der Goldstandard der Studienplanung, das überzeugendste Verfahren, um die Wirksamkeit eines beliebigen Eingriffs so unvoreingenommen wie möglich zu beurteilen.
Zubrod war von diesen frühen Antibiotikastudien begeistert. Schon Ende der vierziger Jahre hatte er Malariamedikamente nach diesen Prinzipien getestet und schlug jetzt vor, sie auch den neuen Prüfplänen des NCI zugrunde zu legen. Fortan sollte streng systematisch vorgegangen werden: Mit jeder klinischen Studie würde eine bestimmte Folgerung oder Hypothese überprüft, und das Resultat wären klare Ja- und Nein-Antworten. Ferner sollten die Studien aufeinander aufbauen: Aus den Erkenntnissen einer Studie ergäbe sich der Aufbau der nächsten Studie und so weiter – ein unermüdliches Voranschreiten, bis man so weit war, Leukämie heilen zu können. Die Studien sollten objektiv sein, wenn möglich randomisiert, mit klaren, unparteiischen Kriterien für die Zuweisung von Patienten und die Beurteilung der Ergebnisse.
Methodik bei klinischen Studien war nicht die einzige nachhaltige Lektion, die Zubrod, Frei und Freireich aus der Antibiotikaforschung lernten. »Über die Analogie zur Antibiotikaresistenz wurde viel nachgedacht«, 11 erinnerte sich Freireich. Wie Farber und Burchenal in Boston beziehungsweise New York zu ihrem Kummer hatten feststellen müssen, wurde Leukämie, wenn sie mit einem einzigen Wirkstoff behandelt wurde, früher oder später unausweichlich gegen ihn resistent, was die kurzlebigen, instabilen Reaktionen und die verheerenden Rückfälle erklärte.
Die Situation erinnerte an Tb. Auch Mykobakterien, die Erreger der Tuberkulose, waren, wie Krebszellen, resistent geworden, wenn nur ein einzelnes Antibiotikum verabreicht wurde, denn die Bakterien, die diesen Angriff überlebt hatten, teilten sich, mutierten und erwarben dabei eine Resistenz, so dass die ursprüngliche Substanz wirkungslos wurde. Um diesen Prozess zu verhindern, führten die Tuberkuloseärzte einen regelrechten Blitzkrieg gegen die Mykobakterien und setzten zwei bis drei Antibiotika gleichzeitig ein – legten sozusagen eine undurchdringliche pharmazeutische Decke aus, die alle Zellteilung ersticken und damit einer Resistenz der Bakterien zuvorkommen sollte, damit die Infektion so nachhaltig wie möglich beseitigt wäre.
Aber konnten auch bei Krebs zwei bis drei Wirkstoffe gleichzeitig getestet werden – oder wurde die Toxizität dann derart haarsträubend, dass der Patient dabei selbst umkam? Freireich, Frei und Zubrod studierten die wachsende Liste von Medikamenten gegen Leukämie, und es drängte sich ihnen der Schluss auf, dass an der Kombination von Wirkstoffen kein Weg vorbeiführte: Ungeachtet der Toxizität, ließ sich der Leukämie höchstwahrscheinlich nur so dauerhaft beikommen.
Der erste Prüfplan wurde aufgestellt, 12 um unterschiedliche Dosierungen von Farbers Methotrexat in Kombination mit Burchenals 6-MP zu testen, zwei der aktivsten Wirkstoffe gegen Leukämie. Drei Klinikzentren erklärten sich bereit, mitzumachen: das NCI, Roswell Park und das Kinderkrankenhaus in Buffalo, New York. Das Ziel der Studien wurde absichtlich schlicht gehalten: Eine Gruppe sollte intensiv mit hoch dosiertem Methotrexat behandelt werden, die Vergleichsgruppe weniger intensiv und mit milderen Dosen. Vierundachtzig Patienten wurden zu der Studie angemeldet. Am Tag der Ankunft erhielten die Eltern der Kinder einen verschlossenen weißen Umschlag mit der randomisierten Zuweisung zur einen oder zur anderen Gruppe.
Mehrere Kliniken und viele Egos waren an der Studie beteiligt, und doch verlief sie überraschend reibungslos. Die Toxizitäten vervielfachten sich: Die Behandlung mit zwei Wirkstoffen war kaum
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