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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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sorgte dafür, dass die neuartigen, abenteuerlichen und häufig äußerst toxischen Therapien durch Vorsicht einigermaßen entschärft wurden. Die Kämpfe zwischen Frei und Freireich wurden bald symbolisch für die Rangeleien innerhalb des NCI. »Freis Job war es damals«, 7 erinnerte sich ein Forscher, »Freireich aus Scherereien herauszuhalten.«
    Zubrod hatte seine eigenen Methoden, um die Leukämieforschung aus Scherereien herauszuhalten. Neue Substanzen, Wirkstoffkombinationen und klinische Versuche wurden immer zahlreicher, und Zubrod fürchtete, die verschiedenen Kliniken könnten sich gegenseitig ins Handwerk pfuschen und sich um Patienten und Therapiepläne streiten, wenn sie doch mit vereinten Kräften den Krebs bekämpfen sollten. Burchenal in New York, Farber in Boston, James Holland in Roswell Park und die beiden Emils am NCI scharrten alle mit den Hufen und wollten mit klinischen Studien beginnen. Und angesichts der Seltenheit, mit der ALL auftritt, war jeder Patient kostbares Material für eine Leukämiestudie. Um Konflikte abzuwenden, 8 schlug Zubrod die Schaffung eines »Forschungskonsortiums« vor, innerhalb dessen Patienten, Studienergebnisse, Daten und Erkenntnisse ausgetauscht werden sollten. Sie nannten sich ALGB, Acute Leukemia Group B.
    Der Vorschlag veränderte das Feld. »Zubrods Kooperationsmodell rüttelte die Krebsmedizin auf«, erinnert sich Robert Mayer (der später Leiter einer der kooperierenden Gruppen wurde). »Zum ersten Mal 9 hatte ein wissenschaftlicher Onkologe das Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören. Der Krebsarzt war nicht mehr der Ausgestoßene, nicht mehr der Mann, der von irgendeinem Kellerraum des Krankenhauses aus Gift verordnete.« Das erste Gruppentreffen, bei dem Farber den Vorsitz hatte, war ein durchschlagender Erfolg. Die beteiligten Forscher kamen überein, so bald wie möglich eine Reihe gemeinsamer klinischer Studien durchzuführen, so genannte Prüfpläne.
    Als Nächstes machte sich Zubrod daran, einen genauen Plan für die Durchführung solcher Studien zu erarbeiten. Krebsstudien, argumentierte er, seien bisher peinlich chaotisch und desorganisiert verlaufen. Onkologen müssten bei der Behandlung der Patienten die besten Studien nachvollziehen können, und um zu lernen, wie eine objektive, unvoreingenommene klinische Studie auf neuestem Wissensstand durchzuführen sei, müssten sie einen Blick in die Geschichte der Antibiotika werfen.
    In den vierziger Jahren, als neue Antibiotika am Horizont aufzutauchen begannen, hatten die Ärzte vor einem Dilemma gestanden: Wie lässt sich die Wirksamkeit eines neuen Medikaments objektiv überprüfen? Im Medical Research Council in Großbritannien war um diese Frage ein regelrechter Streit entbrannt. Die Entdeckung von Streptomycin, einem Anfang der vierziger Jahre isolierten neuen Antibiotikum, hatte eine Welle von Optimismus ausgelöst, denn man hoffte, ein Heilmittel für Tuberkulose gefunden zu haben. In der Petrischale vernichtete Streptomycin die Mykobakterien, die Erreger der Tuberkulose, aber ob es auch im menschlichen Körper wirkte, war unbekannt. Der Vorrat an Streptomycin war äußerst knapp, und die Ärzte, die noch diverse weitere Infektionen damit behandeln wollten, duellierten sich praktisch schon um wenige Milligramm. Streptomycin musste also rationiert werden, und um eine Aussage über seine Wirksamkeit gegen die Tuberkulose beim Menschen treffen zu können, war ein objektives Experiment erforderlich.
    Wie sollte das Experiment aussehen? Der englische Statistiker Bradford Hill (selbst ein genesenes Tb-Opfer) schlug eine erstaunliche Lösung vor. Hill ging davon aus, dass Ärzte von allen am wenigsten in der Lage seien, ein solches Experiment durchzuführen, weil sie berufsbedingt befangen sind. Jedes biologische Experiment erfordert eine »Kontrollgruppe« unbehandelter Vergleichspersonen, an denen die Wirksamkeit der Behandlung beurteilt werden kann. Überlasse man die Auswahl der Probanden für eine Studie den Ärzten, folgerte Hill, bestehe eine zwangsläufig hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie – vielleicht ganz unbewusst – von vornherein bestimmte Patiententypen aussuchten und dann die Wirkung eines Medikaments an dieser äußerst verzerrten Population nach subjektiven Kriterien beurteilten, so dass zur ersten Befangenheit eine zweite komme.
    Die Lösung, die Hill vorschlug, 10 um solche Verzerrungseffekte zu vermeiden, bestand nun darin, die Patienten für eine Behandlung mit Streptomycin nach

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