Der König auf Camelot
aus Angst, man könne sie hören, flüsterten sie nur. Sie befürchteten nicht
eigentlich, verprügelt zu werden, wenn sie heraufkam. Sie liebten sie leidenschaftlich und beteten sie rückhaltlos an, da
ihr Charakter soviel stärker war als der ihre. Auch war ihnen nicht verboten,
nach dem Schlafengehen miteinander zu sprechen. Vielmehr war es so, als habe
sie ihre Kinder – vielleicht aus Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit oder gar
aus einer Art besitzheischender Grausamkeit – zu einer gewissen Dumpfheit im
Verhältnis zu Recht und Unrecht erzogen. Es war, als wüßten sie nie genau,
wann sie nun lieb und wann sie böse waren.
Sie flüsterten auf gälisch. Genauer: sie wisperten in einer
merkwürdigen Mischung von Gälisch und altem Ritter-Idiom, das man ihnen
beigebracht hatte, da es ihnen von Nutzen sein werde, wenn sie einmal erwachsen
waren. Englisch konnten sie kaum. Später, als berühmte Ritter am Hof des
großen Königs, sprachen sie perfekt englisch – außer Gawaine, der, als
Oberhaupt des Clans, einen schottischen Akzent beibehielt, um zu zeigen, daß er
sich seiner Geburt nicht schäme.
Gawaine erzählte die Geschichte, weil er der Älteste war.
Sie lagen nebeneinander wie hagere, seltsame, geheimnisvolle Frösche; sie
wiesen einen guten Körperbau auf, der sich bei entsprechender Ernährung
kraftvoll runden würde. Sie hatten helles Haar. Gawaines Mähne war leuchtend
rot und Gareths Schopf fahler als Heu. Sie waren zwischen zehn und vierzehn
Jahren alt, und Gareth war der Jüngste der vier. Gaheris war ein gleichmütiges
Kind. Agravaine, der auf Gawaine folgte, war das Sorgenkind der Familie: er war
unstet und weinte leicht und hatte Angst vor Schmerzen. Es kam daher, daß er
Phantasie besaß und mehr als die andern seinen Kopf benutzte.
»Vor langer Zeit, meine Helden«, sagte Gawaine, »lang ehe
man an uns dachte, hatten wir eine schöne Großmutter mit Namen Igraine.«
»Sie ist die Gräfin von Cornwall«, sagte Agravaine.
»Unsre Großmutter ist die Gräfin von Cornwall«, bestätigte
Gawaine, »und der verruchte König von England verliebte sich in sie.«
»Der hieß Uther Pendragon«, sagte Agravaine.
»Wer erzählt hier die Geschichte?« fragte Gareth ärgerlich.
»Halt den Mund.«
»König Uther Pendragon«, fuhr Gawaine fort, »ließ den
Grafen und die Gräfin von Cornwall kommen – «
»Unsern Großvater und die Oma«, sagte Gaheris.
» – und er verkündete ihnen, daß sie bei ihm im Tower zu
London wohnen müßten. Dann, als sie bei ihm wohnten, sagte er zu unserer Oma,
sie solle seine Frau werden, statt bei unserm Großvater zu bleiben. Aber die
keusche und schöne Gräfin von Cornwall…«
»Oma«, sagte Gaheris.
Gareth rief aus: »Den Düwel auch, so gib doch endlich
Frieden!« Es erhob sich eine gedämpfte Auseinandersetzung, unterbrochen von
Schreien, Schlägen und Beschwerden.
»Die keusche und schöne Gräfin von Cornwall«, fuhr Gawaine
fort, »wies die Werbung von König Uther Pendragon verächtlich zurück und
erzählte es unserm Großvater. Sie sagte: ›Ich glaube, man hat uns hergeholt,
auf daß ich entehrt werde. Deshalb, mein Gemahl, schlage ich vor, sofort von
hier zu verschwinden und in der Nacht auf unser Schloß zurückzukehren‹ So entzogen
sie sich mitten in der Nacht dem Zorn des Königs – «
»In tiefster Mitternacht«, korrigierte Gareth.
» – Als alle anderen schlafen gegangen waren, sattelten sie
ihre stolzen, feueräugigen, flinkfüßigen, ebenmäßigen, breitlippigen, kleinköpfigen,
ungestümen Rösser beim Licht einer trüben Laterne und ritten gen Cornwall, so
schnell es nur ging.«
»Es war ein grauenhafter Ritt«, sagte Gaheris.
»Sie ritten die Gäule zuschanden«, sagte Agravaine.
»Taten sie nicht«, sagte Gareth. »Unser Großvater und unsre
Oma reiten kein Pferd zuschanden.«
»Nein?« fragte Gaheris.
»Nein«, sagte Gawaine nach einigem Überlegen. »Aber viel
hat nicht gefehlt.«
Er fuhr mit der Geschichte fort:
»Als König Uther Pendragon am nächsten Morgen hörte, was
sich ereignet hatte, war er schrecklich erzürnt.«
»Erschröcklich«, warf Gareth ein.
»Schrecklich erzürnt«, sagte Gawaine. »König Uther
Pendragon war schrecklich erzürnt. Er sagte: ›Diesen Grafen von Cornwall werd’
ich einen Kopf kürzer machen, bei meiner Heiligkeit, und der Kopf wird zu Tisch
getragen!‹ Also schickte er unserm Großvater einen Brief: er solle sich füllen
und garnieren, denn innerhalb von vierzig Tagen werde er
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