Der König auf Camelot
Bestie möcht’ ihm was zugefügt haben.«
»Armer Kerl.«
»Wie fühlt Ihr Euch?«
»Die Indisposition geht vorüber«, sagte Sir Palomides
tapfer.
»Haben nicht viel Zeit zu verlieren. Das Vieh frißt ihn
vielleicht schon auf.«
»Übernehmt die Führung«, sagte der Heide und erhob sich
umständlich. »Vorwärts, auf die Zinnen.«
Also stieg die ganze Gesellschaft die enge Treppe des
Bergfrieds hinauf.
Tief unten war winzig klein das Aventiuren-Tier zu sehen,
und aus dieser Höhe betrachtet, wirkte es fast, als stünde es auf dem Kopf. Es
hockte in der Schlucht, welche die Burg auf dieser Seite begrenzte. Es saß auf
einem Geröllblock, hatte den Schwanz geringelt und blickte, den Kopf auf die
Seite gelegt, zur Zugbrücke empor. Von Pellinore war nichts zu sehen.
»Offensichtlich frißt’s ihn nicht«, sagte Sir Grummore.
»Wenn’s ihn nicht schon gefressen hat.«
»Das dürft’s kaum können, alter Knabe. Nicht in so kurzer
Zeit.«
»Man sollte annehmen, daß es ein paar Knochen oder etwas
dergleichen übriggelassen hätte. Zumindest aber die Rüstung.«
»Richtig.«
»Was, meint Ihr, sollen wir tun?«
»Es scheint uns auszulachen.«
»Meint Ihr, wir sollten einen Ausfall versuchen?«
»Wir könnten erst mal abwarten, was passiert. Meint ihr
nicht auch, Palomides?«
»Erst denken«, pflichtete Sir Palomides bei, »dann
handeln.«
Als sie etwa eine halbe Stunde Ausschau gehalten hatten,
wurde es der Gruppe der ›Alten‹ zu langweilig. Da nichts geschah, polterten sie
die Treppe hinunter, um von der Mauer aus das Aventiuren-Tier mit Steinen zu
bewerfen. Die beiden Ritter rührten sich nicht.
»Das ist eine schöne Bescherung.«
»Ist es.«
»Ich meine: wenn man’s recht bedenkt.«
»Genau.«
»Auf der einen Seite ist die Königin von Orkney über irgend
etwas verärgert – mir ist ja schließlich aufgefallen, daß ihr mit dem Einhorn
etwas verquer ging – , und auf der anderen Seite verfällt Pellinore der
Schwermut. Und Ihr seid La Beale Isoud in Liebe zugetan, stimmt’s? Und jetzt
ist dieses Biest hinter uns beiden her.«
»Eine verfahrene Geschichte.«
»Liebe«, sagte Sir Grummore nachdenklich, »ist ein ziemlich
starkes Gefühl, wenn man’s recht bedenkt.«
In diesem Augenblick – wie zur Bestätigung von Sir
Grummores Meinung – kam ein engumschlungenes Paar über den Klippenweg
dahergeschlendert.
»Du meine Güte!« stieß Sir Grummore aus. »Wer ist denn
das?« Als sie näher kamen, stellte es sich heraus: Der eine war König
Pellinore, und er hatte seinen Arm um die Hüfte einer stämmigen, in einem
Reitrock steckenden Dame mittleren Alters gelegt. Sie hatte ein rotes
Pferdegesicht und trug eine Reitpeitsche in der freien Hand. Ihr Haar war im
Nacken geknotet.
»Das muß die Tochter der Königin von Flandern sein!«
»Juchhu, Ihr beiden!« rief König Pellinore, sobald er ihrer
ansichtig geworden war. »He, seht mal her, was glaubt Ihr, könnt Ihr raten?
Wer hätt’ das je gedacht, was? Wen hab’ ich wohl gefunden?«
»Aha!« rief die dralle Dame mit dröhnender Stimme und berührte
mit ihrer Reitgerte schelmisch seine Wange. »Wer hat wen gefunden, wie?«
»Ja, ja, ich weiß! Ich hab’ sie gar nicht gefunden – sie
hat mich gefunden! Was haltet Ihr davon? –
Und wißt Ihr was?« fuhr der König in höchstem Entzücken
fort. »Sie konnte meine Briefe überhaupt nicht beantworten! Ich habe ja nie
einen Absender drauf geschrieben! Wir hatten doch keinen! Ich hab’ ja immer gewußt,
daß irgend etwas nicht stimmte. Da hat Piggy denn ihr Pferd bestiegen,
versteht Ihr, und ist mir nach – über Berg und Tal. Das Aventiuren-Tier hat ihr
mächtig geholfen – es hat eine ausgezeichnete Nase – , und diese Zauber-Barke, könnt Ihr Euch das vorstellen,
die muß sich auch ihr Teil gedacht haben, denn sie hat gleich kehrtgemacht, um
die beiden zu holen, als sie sah, daß ich verzweifelt war! Wie nett von ihr!
Die zwei haben die Barke irgendwo in einem Bach gefunden – und hier sind sie! –
Aber wieso stehen wir hier herum?« schrie der König. Er war
so aufgeregt, daß kein anderer zu Worte kam. »Ich wollte sagen: Weshalb
schreien wir so? Ist das höflich, bitte? Solltet Ihr beide nicht herunterkommen
und uns einlassen? Was ist überhaupt mit dieser Zugbrücke los?«
»Das Biest, Pellinore, das Biest! Es hockt dort in der
Schlucht!«
»Was hat’s mit dem Biest auf sich?«
»Es belagert die Burg.«
»Ach ja«, sagte der König. »Jetzt fällt mir’s wieder
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