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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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nicht drauf, was es ist. Mittlerweile
werd’ ich meine Wanderung fortsetzen. Ich muß mit Meister Bleise in North Humberland
zusammentreffen, damit er die Chronik der Schlacht verfassen kann, und dann
werden wir Wildgänse beobachten, und danach – hol’s der Henker: ich komm’ nicht
drauf.«
    »Aber, Merlin: das Biest glaubt uns nicht!«
    »Ich kann’s nicht ändern.« Seine Stimme klang bang und
besorgt. »Hab’ keine Zeit. Tut mir leid. Entschuldigt mich bitte bei Königin
Morgause und sagt, daß ich mich nach ihrer Gesundheit erkundigt habe.«
    Er fing an, sich auf den Zehen zu drehen: Vorbereitung zum
Verschwinden. Seine Wanderung vollzog sich nur zum geringsten Teil zu Fuß.
    »Merlin, Merlin! Wartet noch einen Augenblick!«
    Für einen Moment erschien er wieder und sagte verdrossen:
»Nun, was ist?«
    »Die Bestie glaubt uns nicht. Was sollen wir tun?«
    Er runzelte die Stirn.
    »Psychoanalysiert sie«, sagte er schließlich und begann zu
kreisen.
    »Wartet doch, Merlin! Wie sollen wir das denn anstellen?«
    »Übliche Methode.«
    »Aber was ist das für eine?« riefen sie verzweifelt.
    Er verschwand endgültig; nur seine Stimme blieb in der
Luft.
    »Laßt sie ihre Träume erzählen und so weiter. Klärt sie
über die Fakten des Lebens auf. Aber nicht zuviel Freud.«
    Grummore und Palomides blieb nun nichts andres übrig, als
ihr Heil in geduldiger Aufklärungsarbeit zu suchen, sozusagen auf der
Hinterbühne, während das Glück König Pellinores – der es strikt ablehnte, sich
von Trivialproblemen behelligen zu lassen – auf dem Proszenium erstrahlte.
    »Paß mal auf«, schrie Sir Grummore. »Also das ist so: Wenn
ein Huhn ein Ei legt…«
    Sir Palomides unterbrach ihn mit dem Hinweis auf
Blütenstaub und Stempel.
    Drinnen in der Burg, im königlichen Gemach des Bergfrieds,
lag König Lot mit seiner Gemahlin im Doppelbett. Der König schlief – erschöpft
von der Anstrengung, seine Kriegsmemoiren niederzuschreiben. Er hatte keinen
besonderen Grund, wach zu bleiben. Morgause konnte nicht schlafen.
    Morgen würde sie zu Pellinores Hochzeit nach Carlion
reisen. Wie sie ihrem Gemahl erklärt hatte, wollte sie als Abgesandte hingehen,
um Pardon zu erbitten. Die Kinder sollten mitkommen.
    Lot ärgerte sich über diese Reise und hätte sie ihr am
liebsten untersagt; aber sie wußte schon, wie sie mit ihm fertig werden würde.
    Die Königin stieg leise aus dem Bett und ging zu ihrer
Schatztruhe. Seit der Rückkehr des Heeres hatte sie viel von Arthur gehört –
von seiner Stärke, von seinem Charme, von seiner Unschuld und seiner Großmut.
Nicht einmal der Neid und die Mißgunst derer, die er unterworfen hatte, konnten
ganz verhehlen, daß es sich um eine Prachtgestalt handeln mußte. Auch war von
einem Mädchen namens Lionore die Rede gewesen, der Tochter des Grafen von
Sanam, mit der dieser junge Mann liiert sein solle. Die Königin öffnete die
Truhe im Dunkeln und ging zu der Stelle, wo ein Mondstrahl durchs Fenster fiel.
In der Hand hielt sie einen Streifen, eine Art Band.
    Dieser schmale Streifen wurde für eine Zaubermethode
benutzt, die weniger grausam war als das Verfahren mit der schwarzen Katze,
dafür aber um so grausiger. Er wurde Spancel genannt – wie der Strick,
mit dem man die Läufe von Haustieren zusammenbindet, um sie am Fortlaufen zu
hindern. In den Geheimtruhen der ›Alten‹ gab es mehrere solcher Spezialfesseln.
Sie gehörten eigentlich eher zur Hexerei denn zur großen Magie.
    Morgauses Spancel stammte von einer Soldatenleiche,
die ihr Mann mit nach Hause gebracht hatte, weil der Gefallene daheim, irgendwo
auf den Außen-Inseln, begraben werden sollte.
    Es war ein Streifen Menschenhaut, aus der Silhouette des
Toten geschnitten. Das soll heißen: Der Schnitt war an der rechten Schulter
angesetzt worden, und das Messer ging sorgfältig – und zwar in gleichmäßiger
Doppelspur, so daß ein Streifen entstand – an der Außenseite des rechten Armes
hinunter, umrandete jeden einzelnen Finger (als folge es dem Saum eines
Handschuhs) und glitt an der Innenseite des Armes zur Achselhöhle hinauf. Dann
ging es an der Flanke des Rumpfes hinab, das Bein hinunter, wieder herauf bis
zum Schritt und so weiter, bis es den ganzen Umriß des Leichnams durchlaufen
hatte und wieder an der Schulter ankam, wo der Schnitt angesetzt worden war. So
entstand ein gehörig langes Band.
    Ein Spancel wurde folgendermaßen angewendet. Es war
dafür zu sorgen, daß der Mann, den man liebte, im Schlafe lag.

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