Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
Vom Netzwerk:
Dann mußte man
ihm die Fessel über den Kopf werfen, ohne ihn aufzuwecken, und sie zu einer
Schleife binden. Wurde er wach, während man dies tat, starb er im Verlauf des
Jahres. Schlief er aber weiter, bis die Prozedur vorüber war, dann mußte er
unweigerlich in Liebe zu der Fesselungskünstlerin entbrennen.
    Königin Morgause stand im Mondschein und ließ die Fessel durch
ihre Finger gleiten.
     
    Die vier
Kinder waren gleichfalls wach, doch sie befanden sich nicht in ihrem
Schlafzimmer. Sie hatten während des königlichen Mahles auf der Treppe
gelauscht und wußten also, daß sie mit ihrer Mutter nach England reisen würden.
    Sie waren in der winzigen Church of the Men, einer
Kapelle, die zwar kaum zwanzig Fuß im Quadrat maß, aber ebenso alt war wie das
Christentum auf den Inseln. Sie war aus unvermörtelten Steinen erbaut, wie die
große Mauer des Bergfrieds, und der Mondschein fiel durch das einzige,
unverglaste Fenster auf den steinernen Altar. Das Weihwasserbecken, auf das der
Mond schien, war aus dem gewachsenen Stein gehauen und hatte einen dazu passenden
Deckel – eine gemeißelte Steinplatte.
    Die Orkney-Kinder knieten in der Heimstatt ihrer Vorfahren.
Sie beteten: »Laß uns unserer liebenden Mutter ewig treu bleiben – laß uns der
Cornwall-Fehde wert sein, die sie uns gelehrt hat – und laß uns nie das neblige
Land Lothian vergessen, in dem unser Vater herrscht.«
    Draußen stand der schmale Mond aufrecht am weiten Himmel,
wie ein zu Zauberzwecken abgeschnittener Fingernagel, und vor dem Himmel ragte
die Wetterfahne auf: die Aaskrähe mit dem Pfeil im Schnabel, der gen Süden
wies.
     
     
     
     
     
    KAPITEL
14
     
     
    Es war
ein großes Glück für Sir Palomides und Sir Grummore, daß das Aventiuren-Tier zu
guter Letzt doch noch Vernunft annahm, ehe die Kavalkade sich in Marsch setzte
– sonst hätten sie in Orkney bleiben müssen und die Hochzeit verpaßt. Aber auch
so mußten sie die ganze Nacht ausharren. Glatisant war zwar von ihrem Trauma
geheilt, entwickelte indessen urplötzlich eine neue Fixierung.
    Die Schwierigkeit entstand dadurch, daß sie ihre Zuneigung
– wie es in der Psychoanalyse häufig geschieht – auf den erfolgreichen
Analytiker übertrug: auf Sir Palomides. Nun weigerte sie sich, für ihren
früheren Herrn und Meister auch nur das mindeste Interesse zu zeigen. König
Pellinore sah sich gezwungen – nicht ohne der guten alten Zeit mit ein paar
Seufzern zu gedenken – , seine Rechte auf sie an den Sarazenen abzutreten. Dies
erklärt, weshalb wir, trotz Malorys klarer Auskunft, daß nur ein Pellinore
fähig sei, Glatisant zu fangen, im weiteren Verlauf des Morte d’Arthur stets
Sir Palomides als Verfolger des Aventiuren-Tiers finden. Wie dem auch sei: Es
spielt nicht die geringste Rolle, wer es fangen konnte, da niemand dies je tat.
    Die lange Reise südwärts nach Carlion in den schaukelnden
Sänften, flankiert von einer berittenen Eskorte mit flatternden Wimpeln, war
für jedermann ein Erlebnis. Diese Sänften waren interessant konstruiert. Sie
bestanden aus gewöhnlichen Karren mit einer Art Fahnenstange an jedem Ende. Zwischen
den Stangen war eine Hängematte ausgespannt, in der man die Stöße kaum spürte.
Hinter den königlichen Fuhrwerken trabten die beiden Ritter einher und freuten
sich, der belagerten Burg entronnen zu sein und schließlich doch noch an der
Trauung teilnehmen zu können. St. Toirdealbhach folgte mit Mutter Morlan, denn
es sollte eine Doppelhochzeit werden. Das Aventiuren-Tier war sozusagen das
Schlußlicht; es ließ Sir Palomides nicht aus den Augen, da es befürchtete,
neuerlich im Stich gelassen zu werden.
    Alle Heiligen kamen aus ihren Bienenkörben, um die
Reisenden zu verabschieden. All die Fomorians, Fir Böig, Tuatha de Danaan, Old
People und andere winkten ihnen arglos von Klippen, Currach-Booten, Bergen, Marschen
und Muschelhügeln zu. Hirsche und Einhörner säumten die Höhenzüge, um ihnen
eine gute Reise zu wünschen. Von der Flußmündung kamen die Seeschwalben mit
ihren gegabelten Schwänzen und kreischten drauflos, als wollten sie die
Funkübertragung einer großen Einschiffungsszene bieten; die
Weißbürzel-Steinschmätzer und Wasserpieper flatterten von Ginsterbusch zu
Ginsterbusch; die Adler, Wanderfalken, Raben und Baßtölpel kreisten über ihnen
in den Lüften; der Torf rauch folgte ihnen nach, als wolle er sich ihnen ein
letztes Mal um die Nasen kringeln; die Ogham-Steine und Schlupfbauten und
Küstenforts

Weitere Kostenlose Bücher