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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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anstellen sollte, ihren Helden an sich zu fesseln. Sie nahm Galahad
mit, weil sie an ihm hing. Sie nahm ihn nur deshalb mit, weil sie ihn nicht
alleinlassen mochte und weil sie ihn seinem Vater zeigen wollte. Auch hatte sie
den Wunsch, die beiden Gesichter miteinander zu vergleichen. Es war ein Jahr
her, seit sie den Mann gesehen hatte, für den sie in ihrer Kindlichkeit lebte.
    Lanzelot
blieb unterdessen bei der Königin am Hof, nun aber ohne jenen Seelenfrieden,
den er sich zeitweise hatte vorgaukeln können, solange der König außer Landes
gewesen war. Während seiner Abwesenheit hatte er sich jedem flüchtigen
Augenblick hingeben können – doch jetzt war Arthur stets an seiner Seite,
gemahnte ihn ständig an seinen Verrat. Die Leidenschaft für Ginevra hatte seine
Liebe zu Arthur keinesfalls verschüttet. Für einen Mann des Mittelalters mit
Lanzelots fataler Neigung, stets nur das Höchste anzustreben und zu lieben, war
dies eine qualvolle Situation. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, sein
Gefühl für Ginevra sei unedel oder gar gemein, denn es war das beherrschende
Gefühl seines Lebens, und doch verschwor sich jetzt jeder Umstand, es unedel
erscheinen zu lassen. Die hastigen Augenblicke des Beisammenseins, die
verschlossenen Türen und unschönen Kniffe, die feigen Ausweichmanöver, zu denen
die Anwesenheit des Ehemannes die Liebenden zwang – all dies beschmutzte das,
wofür es keine Entschuldigung gab, außer der, daß es schön war. Hinzu kam das
peinigende Wissen, daß Arthur freundlich und arglos und aufrecht war – das
Wissen, daß er selber Arthur furchtbar verletzte, obwohl er ihn liebte. Und
dann war da das Leiden um Ginevra selbst, das winzige Pflänzchen der
Bitterkeit, das sie beide, einer in des ändern Auge, hatten aufkeimen sehen,
als sie ihren ersten Streit ausfochten. Es tat ihm weh, eine eifersüchtige und
argwöhnische Frau zu lieben. Sie hatte ihm einen tödlichen Schlag versetzt, als
sie ihm seine Erklärung wegen Elaine nicht sogleich glaubte. Trotz allem aber
liebte er sie. Und schließlich ging es um die widerstrebenden Elemente seines
eigenen Charakters, um sein sonderbares Verlangen nach Reinheit und Ehre und
geistiger Erhabenheit. Dies alles, vermischt mit der unbewußten Angst, daß
Elaine mit seinem Sohn kommen werde, verursachte ihm großes Unbehagen, dem er
nicht zu entrinnen vermochte. Es kam selten vor, daß er irgendwo ruhig saß;
meist irrte er mit nervösen Bewegungen umher, nahm Gegenstände in die Hand und
stellte sie wieder hin, ohne sie anzusehen, und blickte zum Fenster hinaus,
ohne irgend etwas wahrzunehmen.
    Für
Ginevra war die Angst vor Elaines Kommen nicht unbewußt. Ihr war vom ersten
Augenblick an klar, daß Elaine kommen werde. Ihre Befürchtungen eilten, wie
allemal die Ahnungen von Frauen, den männlichen Überlegungen weit voraus. Es
kommt häufig vor, daß ein Mann behauptet, seine Frau würde ihn durch grundlose
Eifersucht zur Untreue treiben, ehe er überhaupt auch nur daran gedacht habe.
Dabei war der Gedanke vermutlich schon da, unbewußt und nur für eine Frau
fühlbar. Die große Anna Karenina, zum Beispiel, manövrierte Wronsky durch
grundlose, wahnwitzige Eifersucht in eine gewisse Lage – und doch war diese
Lage die einzig wahre Lösung ihres Problems, die unausweichliche Lösung. Sie
sah viel weiter in die Zukunft als er und drängte ihn leidenschaftlich dorthin;
sie zerstörte die Gegenwart, weil die Zukunft ohnehin in Trümmer gehen mußte.
    So
verhielt es sich auch mit Ginevra. Wahrscheinlich belastete sie Elaines
bevorstehender Besuch gar nicht einmal so sehr. Wahrscheinlich hatte sie
Lanzelot in dieser Hinsicht gar nicht ernsthaft in Verdacht. Doch ahnte sie
vermöge ihres Vor-Wissens Kümmernisse und Verhängnisse, die außerhalb des
Gesichtskreises ihres Liebhabers lagen. Es wäre nicht ganz zutreffend, wollte
man behaupten, das kommende Unheil sei ihr im logischen Sinne bewußt gewesen;
nein, es lag in ihrem tiefsten Innern parat. Dummerweise ist die Sprache so
starr, daß wir nicht sagen können, eine Mutter sei sich unbewußt gewesen, daß
ihr Baby im Nebenzimmer schrie – in dem Sinne, daß die Mutter irgendwie
unbewußt gewußt habe, daß es tatsächlich schrie. Ginevra war sich, in diesem
Sinne, über die ganze Arthur-Lanzelot-Situation klar, auch über die künftige
Tragödie am Hof (jedenfalls in groben Zügen), sowie über die traurige Tatsache
ihrer eigenen Kindlosigkeit, an der sich auch später nichts ändern

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