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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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da.
– Es war einfach das Überwältigende – die Kraft und die Herrlichkeit. Es packte
mich bei allen Sinnen und wollte mich hineinziehen. – Aber ich konnte nicht
hinein, Arthur und Jenny – ein Schwert hielt mich zurück. Galahad war drinnen,
und Bors und Percivale. Dazu neun andere Ritter aus Frankreich und Dänemark und
Irland. Und die Dame von meinem Schiff war ebenfalls da. – Und der Gral war da,
Arthur, auf einer silbernen Tafel! Und noch anderes. Mir jedoch war es
verwehrt, die Schwelle zu überschreiten, so sehr es mich auch danach verlangte.
Ich weiß nicht, wer der Priester war. Es kann Joseph von Arimathia gewesen
sein, es kann… es kann… nun ja. Jedenfalls bin ich hineingegangen, um ihm zu
helfen – trotz dem Schwert – , weil das, was er trug, zum Tragen viel zu schwer
war. Ich wollte bloß helfen, Arthur; Gott ist mein Zeuge. Aber da schlug mir
ein Atem ins Gesicht, an der letzten Tür, wie ein feuriges Gebläse, und ich
stürzte betäubt nieder.«
     
     
     
     
     
     
    KAPITEL 34
     
     
    In der dunklen Kammer
herrschte ein Kommen und Gehen von Mägden. Die Kanister und Eimer klapperten
auf den Stufen, und überall war Dampf. Wenn die Mägde in die Pfützen auf dem
Boden traten, platschte es, und aus dem benachbarten Raum konnte man Flüstern
hören und heimliches Seidenrascheln.
    Die
Königin hatte die sechs Sprossen der hölzernen Leiter erklommen, die zu ihrem
Bade führten, und nun saß sie auf der drinnen angebrachten Planke, wobei ihr
Kopf über die Brüstung ragte. Der Badezuber ähnelte einem großen Bierfaß, und
ihr Haupt war in einen weißen Turban gehüllt. Sie war nackt, abgesehen von
einer Perlenkette. In einer Ecke befand sich ein Spiegel – ein höchst
kostspieliges Stück – , und ein kleiner Tisch in der anderen barg die Parfüms
und öle. Anstelle einer Puderquaste gab es einen Beutel aus Sämischleder voll
Kreidepulver, parfümiert mit Rosenessenz, die jemand vom Kreuzzug mitgebracht
hatte. Auf dem mit Pfützen übersäten Boden herrschte ein Durcheinander von
leinenen Tüchern zum Abtrocknen, von Juwelenkästchen, Brokatstoffen, Gewändern,
Strumpfbändern, und Hemden, die man ihr aus dem anderen Raum zum Aussuchen hergebracht
hatte. Allerlei ausrangierter Kopfputz lag da: seltsame, steif gestärkte
Gebilde, die aussahen wie Kerzenlöscher oder Meringen oder doppelt geschwungene
Kuhhörner. Die Haarnetze, die dies alles zusammenhielten, waren mit Perlen
besetzt, und die Halstücher waren aus orientalischer Seide. Eine der Zofen
stand vor dem Zuber der Königin und hielt ihr einen bestickten Umhang zur
Begutachtung hin. Er war mit den Wappen ihres Gatten und ihres Vaters
gezeichnet: mit dem dragon rampant, dem aufgerichteten Drachen von
England, und den sechs reizvollen lioncels passant regardant von König
Leodegrance, der, seinem Namen gemäß, die jungen, im Schreiten zurückblickenden
Löwen als Zeichen trug. Dieser Umhang hatte eine schwere Seidenkordel, ähnlich
einer Gardinenquaste, womit man ihn über der Brust zusammenziehen konnte. Die
seidene Bordüre war mit blausilbernem Pelzwerk verbrämt.
    Ginevra
hatte keine Rötelspuren mehr im Gesicht, und sie akzeptierte die ihr empfohlene
Kleidung ohne Widerspruch. Die Kammerfrauen freuten sich. Über ein Jahr lang
hatten sie einer Königin gedient, die launisch, grausam, widerspruchsvoll und
kreuzunglücklich gewesen war. Jetzt fand sie an allem Gefallen und hetzte sie
nicht mehr umher. Jede der Dienerinnen glaubte fest, daß Lanzelot wieder ihr
Liebhaber geworden sein müsse. Dies aber war nicht der Fall.
    Ginevra
blickte auf die sechs lioncels passant regardant: sie marschierten mit
roten Zungen und Pranken einher, blinzelten keck über die Schultern und
wedelten mit ihren flammenden Schweifen. Sie nickte, mit einem zufriedenen und
schläfrigen Gesichtsausdruck. Die Zofe machte einen Knicks und trug den Umhang
in den Ankleideraum. Die Königin sah ihr nach.
    Der
Leser meint vielleicht, Ginevra sei selber eine menschenfressende lioncelle gewesen,
eine jener selbstsüchtigen Frauen, die immer und überall herrschen wollen. Und
bei oberflächlicher Betrachtung wirkte sie tatsächlich so. Sie war schön,
heißblütig, fordernd, impulsiv, herrisch, bezaubernd – sie hatte alle
Eigenschaften eines männerverschlingenden Raubtiers. Aber solch wohlfeile
Deutungen scheitern an der Tatsache, daß sie keine erotische Freibeuterin war.
Außer Lanzelot und Arthur gab es keinen Mann in ihrem Leben. Außer diesen
beiden

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