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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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fraß sie niemanden. Und auch diese beiden verschlang sie nicht im
wörtlichen Sinne. Personen, die von einer männermordenden Löwin verschlungen
werden, pflegen nicht mehr existent zu sein; sie leben kein anderes Leben mehr
als das in den Eingeweiden des Fressers. Doch sowohl Arthur als auch Lanzelot,
die sie scheinbar verschlang, lebten ein volles Leben und vollbrachten eigene
Taten.
    Ginevras
Wesen läßt sich vielleicht damit erklären, daß sie das war, was man einen
›wirklichen‹ Menschen nennen könnte. Sie gehörte nicht zu jenen, die man damit
abtun kann, daß man ihnen ein Etikett anhängt, wie ›treu‹ oder ›untreu‹ oder
›aufopfernd‹ oder ›eifersüchtig‹. Bisweilen war sie treu, und bisweilen war sie
untreu. Sie war immer sie selbst. Und an diesem Selbst muß etwas gewesen sein,
eine Aufrichtigkeit des Herzens, sonst hätte sie nicht zwei Männer wie Arthur
und Lanzelot halten können. Gleich und gleich gesellt sich gern, so sagt man;
und zumindest über eins ist man sich einig: daß ihre Männer großmütig waren.
Auch sie muß großmütig gewesen sein. Es ist schwierig, über einen wirklichen
Menschen zu schreiben.
    Sie
lebte in kriegerischen Zeiten, wo das Leben für junge Männer so kurz war wie
für die Flieger im zwanzigsten Jahrhundert. In solchen Zeiten lockern die
älteren Moralisten ihre Moralgesetze ein wenig, zum Dank dafür, daß sie
verteidigt werden. Die dem Tod geweihten Piloten mit ihrer Lebenslust, ihrem
Liebeshunger, dem vielleicht nur eine so kurze Frist gegönnt ist, rühren an die
Herzen junger Frauen oder rufen gar ein keckes, kühnes Entgegenkommen hervor.
Generosität, Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Mitleid, die Fähigkeit, einem kurzen
Leben ins Gesicht zu sehen, gewiß Kameradschaftlichkeit und Zärtlichkeit –
diese Eigenschaften können vielleicht erklären, weshalb Ginevra sowohl Lanzelot
als auch Arthur nahm. Mut stand an der Spitze – der Mut, aus vollem Herzen zu
nehmen und zu geben, solange noch Zeit war. Poeten fordern von den Frauen
allemal diese Art von Mut. Jedenfalls pflückte sie die Rosenknospen beizeiten,
und das Erstaunliche ist, daß sie nur zwei an sich nahm, die sie für immer
behielt, und daß diese beiden die besten waren.
    Ginevras
Tragödie bestand im Grunde darin, daß sie kinderlos war. Arthur hatte zwei
illegitime Kinder, und Lanzelot hatte Galahad. Ginevra hingegen – und sie war
von den dreien diejenige, die am dringendsten hätte Kinder haben müssen und die
mit Kindern gut hätte umgehen können und die von Gott augenscheinlich dazu
prädestiniert war, schöne Kinder zu gebären – , sie blieb ein leeres Gefäß, ein
unbemanntes Schiff, ein Ufer ohne Meer. Das war es, was sie zerbrach, als sie
in das Alter kam, in dem ihr Meer schließlich austrocknen mußte. Dies
verwandelte sie für eine kurze Zeitspanne in eine Rasende. (Doch das war erst
später.) Es könnte eine mögliche Erklärung für ihre zwiefache Liebe sein – vielleicht
liebte sie Arthur als Vater und Lanzelot wegen des Sohnes, den sie nicht haben
konnte.
    Die
Menschen lassen sich leicht von Tafelrunden und Waffentaten blenden. Man liest
von Lanzelot, wie er irgendeine noble Tat vollbringt, und kehrt er dann heim zu
seiner Geliebten, so nimmt man es dieser übel, daß sie die Heldenkarriere stört
oder gar zunichte macht. Aber Ginevra konnte nicht auf die Suche nach dem Gral
gehen. Sie konnte nicht für ein Jahr mit dem Speer zu einem Abenteuer im
englischen Urwald verschwinden. Ihr Teil war es, daheim zu sitzen, wenn auch
voll Leidenschaft, wenn auch wirklich und hungrig in ihrem ungestümen und
zärtlichen Herzen. Für sie gab es keine erlaubten Zerstreuungen – ausgenommen
solche, die an die heutigen Bridge-Kränzchen älterer Damen erinnern: Sie konnte
mit einem Zwergfalken auf die Beiz gehen oder Blindekuh spielen oder pince-merille. Dies waren die Amüsements erwachsener Frauen in jenen Tagen. Die großen
Falken indes, die Jagdhunde, die Wappenkunde, die Turniere – das alles blieb
Lanzelot vorbehalten. Für sie gab es, falls ihr nicht der Sinn nach ein wenig
Spinnen oder Sticken stand, keine Beschäftigung – außer Lanzelot.
    Wir
müssen uns die Königin demnach als eine Frau vorstellen, die ihrer wichtigsten
Möglichkeit beraubt war. Als sie in ihre schwierigen Jahre kam, tat sie
allerlei Absonderliches. Sie geriet sogar in den Verdacht, einen Ritter
vergiftet zu haben. Ja, sie wurde unbeliebt. Unpopularität jedoch ist oftmals
ein Kompliment, und Ginevra

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