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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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Anblick des blanken Stahls bekam Gawaine einen
seiner wilden Wutanfälle. Er ließ von Mordred ab, stieß einen Wortschwall aus,
zog sein Jagdmesser, da er keine andere Waffe trug, und ging auf Agravaine los
– all dies gleichzeitig. Der fette Mann zog sich zurück, als hätte ihn die
Raserei seines Bruders in die Defensive gedrängt, und hielt sein Schwert mit
zitternder Hand vor sich hin.
    »Aye«, brüllte Gawaine, »wohl weißt du, was er sagen will, du
braver Bluthund. Gegen dein’ eigen’ Bruder ziehst du, denn nur zu gerne mordest
du, wenn einer ungewappnet. Fluch und Leichentuch über dich! Steck dein Schwert ein, Mann! Steck’s
ein! Was hast du vor? Ist’s nicht genug, daß du unsre Mutter tat’st erschlagen?
Verdammt, schmeiß dein Schwert weg, oder hab’ den Mumm, damit zu kämpfen. Agravaine…«
    Mordred schob sich in seinen Rücken, die
Hand am eigenen Dolch. Eine Sekunde später blitzte der Stahl im Schatten auf,
angeleuchtet von den Augen der Eule, und im selben Augenblick sprang Gareth
herzu, bereit zur Verteidigung. Er packte Mordred am Handgelenk und schrie:
»Genug jetzt! Gaheris, sieh nach den andern!«
    »Agravaine, steck das Schwert ein!
Gawaine, laß ihn in Ruhe.«
    »Fort, Mann! Ich kann den Hund schon
selber lehren.«
    »Agravaine, schnell, tu das Schwert weg,
sonst bringt er dich um. Los doch, Mann. Sei kein Narr. Gawaine, laß ihn in
Ruh’. Er hat’s doch nicht so gemeint. Gawaine! Agravaine!«
    Agravaine jedoch hatte einen matten
Ausfall gegen das Familienoberhaupt gemacht, den Gawaine verächtlich mit seinem
Messer parierte. Jetzt stürmte der alte Recke mit den frettchenfarbenen
Schläfen los und packte ihn um die Hüfte. Das Schwert klapperte zu Boden, als
Agravaine rücklings über den Weintisch fiel und Gawaine auf ihn stürzte. Der
Dolch zuckte böse empor, um das Werk zu vollenden, doch Gaheris packte ihn von
hinten. Plötzlich ein tableau absoluter Stille und Reglosigkeit. Gareth
hielt Mordred. Agravaine, der seine Augen mit der Hand schützte, schreckte vor
dem Messer zurück. Und Gaheris hielt den rächenden Arm in der Höhe fest.
    In diesem kritischen Augenblick öffnete
sich abermals die Tür zum Kreuzgang, und der artige Page meldete in ungetrübtem
Ton: »Seine Majestät, der König!«
    Alle entspannten sich. Sie ließen los, was
sie gerade hielten, und regten sich. Agravaine setzte sich keuchend auf. Gawaine
ließ von ihm ab, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
    »Ach Gott«, murmelte er. »Wenn ich doch
bloß nicht solch krankhafte Ausbrüche kriegen tät’!«
    Der König stand auf der Schwelle.
    Er kam herein, der ruhige alte Mann, der
so lange sein Bestes getan hatte. Er sah älter aus, als er war, obwohl schon
hoch in den Jahren. Sein königliches Auge überblickte die Lage. Er sagte
nichts. Er durchschritt den Kreuzgang, küßte Mordred sanft auf die Stirn und
lächelte allen zu.
     
     
     
    KAPITEL 3
     
     
    Lanzelot und Ginevra saßen am
Söllerfenster. Ein Beobachter von heute, der die Arthur-Sage nur von Tennyson
und Poeten seines Schlages kennt, hätte mit Schrecken festgestellt, daß die
berühmten Liebenden über ihre besten Jahre hinaus waren. Unsere Vorstellung von
Liebe ist bestimmt durch das Bildungsklischee »Romeo und Julia«, durch das Bild
einer Romanze, die sich zwischen einem Knaben und einem jungen Mädchen
abspielt. Wir wären daher verblüfft, wenn wir einen Schritt ins Mittelalter tun
könnten – wo der Dichter des Rittertums vom Manne schreiben konnte, er habe en
ciel un dieu, par terre une déesse. Liebende wurden dazumal nicht als
Jugendliche, nicht als Heranwachsende dargestellt: es waren reife Menschen, die
wußten, wer sie sind und was sie tun. In jenen Zeiten liebte man sich ein Leben
lang, ohne den Komfort eines allzeit dienstbeflissenen Scheidungsanwalts oder
Psychiaters. Man hatte »im Himmel einen Gott, auf Erden eine Göttin« – und weil
Menschen, die sich Göttinnen weihen, einige Bedachtsamkeit gegenüber den Wesen
aufbringen müssen, denen sie ergeben sind, so erwählten sie diese nicht allein
im Blick auf den vergänglichen Reiz des Leibes – und verließen sie auch nicht
leichtfertig, wenn die Pracht zu verblühen begann.
    Lanzelot und Ginevra saßen an einem
Fenster des Bergfrieds, und unter ihnen dehnte sich Arthurs England im flachen
Schein der untergehenden Sonne.
    Es war das Gramarye des Mittelalters,
einer Zeit, die manche Leute das ›finstere Mittelalter‹ nennen. Arthur hatte es
zu dem gemacht, was es

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