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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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durfte.
Louis der Elfte, ein weiterer erdichteter König, hatte verhaßte Bischöfe in
recht kostspieligen Käfigen gefangengehalten. Herzog Robert hatte von seinen
Nobeln den Beinamen ›der Herrliche‹ bekommen, von seinen Untertanen hingegen wurde
er ›Robert der Teufel‹ genannt. Und ehe Arthur kam, hatten die gemeinen
Sterblichen – von denen vierzehn aus einer Stadt während einer einzigen
Woche von Wölfen gefressen wurden, von denen ein Drittel am Schwarzen Tod starb
(die Leichen wurden ›gleich Schweinespeck‹ in Gruben gepackt), für die in der
Nacht häufig Wälder und Marschen und Höhlen als Zufluchtsorte dienten, für die
von siebzig Jahren achtundvierzig Hungerjahre gewesen waren – diese Menschen
hatten zu einer feudalen Oberschicht aufgeschaut, den ›Herren des Himmels und
der Erden‹, und wurden von Bischöfen totgeschlagen, die, weil sie kein Blut
vergießen durften, mit Eisenkeulen auf sie losgingen. Laut hatten diese
Menschen hinausgesungen, daß Christus und seine Heiligen schliefen. Pourqwoi, hatten
die armen Wesen in ihrem Elend gesungen: Warum?
     
    Pourquoi nous laisser faire dommage?
    Nous sommes hommes comme ils sont.
     
    So war die verblüffend moderne
Zivilisation beschaffen gewesen, deren Erbe Arthur angetreten hatte. Doch war
es nicht die Zivilisation, worauf die Liebenden jetzt schauten. Vor ihnen
erstreckte sich, geruhsam im apfelgrünen Sonnenuntergang liegend, das zur Fabel
gewordene Merry England des Mittelalters, als es nicht so finster war. Lanzelot
und Ginevra blickten auf das Zeitalter der Individuen.
    Was für eine erstaunliche Zeit war das
Zeitalter des Rittertums! Ein jeder war zunächst und vor allem er selbst, war
leidenschaftlich und lärmend damit beschäftigt, den Launen menschlicher Natur
zu geben, was sie verlangten. Die Landschaft, die sich unter ihnen ausbreitete,
war von freudvoller Vielfältigkeit, und die Menschen und Begebenheiten waren
derart turbulent und abwechslungsreich, daß man kaum weiß, wo man mit der
Beschreibung beginnen soll.
    Finsteres Mittelalter! Das neunzehnte
Jahrhundert war mit seinen Etikettierungen reichlich dreist. Denn hier, unterm
Fenster, in Arthurs Gramarye, funkelten die Strahlen der Sonne auf Hunderten
von Juwelen aus Buntglas in Klöstern und Konventen oder tanzten auf den
Spitztürmchen der Kathedralen und Kastelle, die von ihren Erbauern wahrhaft
geliebt worden waren. Die Architektur in jenen dunklen Zeitläuften war eine
derart lichtvolle Leidenschaft, daß die Männer ihren Festungen Kosenamen gaben.
Lanzelots Joyous Gard war nichts Einmaliges in einem Zeitalter, das uns Beauté hinterlassen hat, Plaisance oder Malvoisin (der böse Nachbar
für seine Feinde), in einem Zeitalter, da sogar ein Tölpel wie der imaginäre
Richard (Löwenherz), der an Furunkeln krankte, seine Burg Gaillard nennen
konnte und von ihr als seiner ›schönen einjährigen Tochter‹ sprach. Sogar jener
legendäre Schurke Wilhelm der Eroberer hatte einen zweiten Beinamen: ›Der Große
Erbauer‹.
    Man denke an das Glas, durch und durch
getönt mit den fünf Hauptfarben. Es war gröber als unseres, dicker, für
kleinere Stücke geeignet. Sie liebten ihre Fenster mit derselben Hingabe, wie
sie ihre Schlösser und Burgen liebten, und Villars de Honnecourt, beeindruckt
von einem besonders schönen Exemplar, unterbrach seine Reise, um es zu zeichnen
– mit der Erläuterung: »Ich war auf dem Wege, einem Ruf nach Ungarland zu
folgen, da ich dies Fenster zeichnete, weil es mich das schönste aller Fenster
dünkte.«
    Man male sich das Innere jener alten
Kirchen aus, nicht die grauen, tristen Innenräume, wie wir sie kennen, sondern
farbendurchlohte Hallen voller Fresken, deren Gestalten stets auf Zehenspitzen
standen; voller Tapisserien oder flatternder Brokate aus Bagdad. Man male sich
auch das Innere der Burgen aus, die von Ginevras Fenster aus zu sehen waren. Es
waren nicht mehr die trutzigen Zitadellen wie vor Arthurs Zeiten. Jetzt füllten
sie sich mit Mobiliar, das nicht mehr vom Zimmermann angefertigt wurde, sondern
vom Tischler; jetzt wellten sich ihre türlosen Wände, überspielt von den
lockenden Lustbarkeiten aus Arras: Tapisserien wie die der Jousts von St.
Denis, mehr als vierhundert Quadratellen groß, und doch in weniger als drei
Jahren gewebt – so wild war der Schaffenseifer. Wenn man in Burgruinen sorgsam
Ausschau hält, kann man bisweilen auch heute noch die Haken entdecken, an denen
solch schimmernde Bildteppiche aufgehängt

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