Der König auf Camelot
waren. Auch denke man an die
Goldschmiede aus Lothringen, die Schreine in Gestalt kleiner Kirchen fertigten,
samt Gängen, Statuen, Querschiffen und allem sonstigen, als wären’s
Puppenstuben. Man denke an die Emailleure aus Limoges, an die
Grubenschmelzarbeiten und an die deutschen Elfenbeinschnitzer.
Und ist man endlich willens, sich die
Gärkraft kreativer Kunst zu vergegenwärtigen, die in unserm berühmten Zeitalter
der Finsternis wirksam war, so muß man die Vorstellung fahren lassen, die
schriftliche Kultur sei erst nach dem Fall von Konstantinopel über Europa
gekommen. Jeder Schreiber in jedem Lande war in jenen Tagen ein Mann der Kultur
– das war seine Profession. »Jeder geschriebene Brief«, so sagte ein
mittelalterlicher Abt, »ist eine dem Teufel zugefügte Wunde.« Die Bibliothek
von St. Piquier umfaßte bereits im neunten Jahrhundert 256 Bände, darunter
Virgil, Cicero, Terenz und Macrobius. Charles der Fünfte hatte nicht weniger
als 910 Bände – seine Sammlung war also etwa so umfangreich wie unsere moderne
Klassikerreihe Everyman Library.
Schließlich waren unter den Fenstern auch
noch die Menschen selber – eine quirlige, sprühende Mischung von wimmelnden
Absonderlichkeiten, die der Meinung waren, daß sie nicht nur einen Körper
hätten, sondern auch etwas, das man ›Seele‹ nannte – und beides gebrauchten sie
auf höchst wunderliche Weise. In der Gestalt Sylvesters des Zweiten bestieg ein
bekannter Zauberer den päpstlichen Thron, obwohl er als Erfinder der Pendeluhr
berühmt und berüchtigt war. Ein Fabelkönig von Frankreich mit Namen Robert, dem
das Mißgeschick widerfahren war, exkommuniziert zu werden, bekam daheim die
übelsten Ärgernisse, weil die letzten beiden Köchinnen, die man zum
Weiterarbeiten hatte überreden können, darauf bestanden, daß die Tiegel nach
dem Mahle ins Feuer müßten. Ein Erzbischof von Canterbury, der alle Domherren
von St. Paul’s in einem Anfall übler Laune mit dem Kirchenbann belegt hatte,
stürmte in die Priorei von St. Bartholomew und schlug mitten in der Kapelle den
Subprior nieder, was so viel Empörung auslöste, daß man ihm die Gewandung vom
Leibe riß – und eine Rüstung zum Vorschein kam. Zu Schiff mußte der Gute nach
Lambeth fliehen.
Die Gräfin von Anjou pflegte im
feierlichsten Moment der Messe stets durch ein Fenster zu entschwinden. Madame
Trote de Salerno benutzte ihre Ohren als Taschentücher und ließ ihre
Augenbrauen im Nacken herunterhängen, wie Silberketten. Einen Bischof von Bath
hielt man, in der Regierungszeit des imaginären Eduard L, nach gründlicher
Erwägung für nicht geeignet zum Amt des Erzbischofs, weil er zu viele
illegitime Kinder hatte – nicht ein paar, sondern zu viele. Aber selbst dieser
Bischof konnte wohl kaum der Gräfin von Henneberg das Wasser reichen, die in einem
Wochenbett plötzlich 365 Kindern das Leben schenkte.
Es war das Zeitalter der Fülle, das
Zeitalter, da man in alles so tief eindrang, daß man bis zum Hals darin stak.
Vielleicht zwang Arthur dies Ideal dem Christentum auf, weil seine Lehrzeit
unter Merlin derart reich und vielfältig gewesen war.
Denn der König war – zumindest ist dies
Malorys Deutung – der Schutzpatron des Rittertums. Er war kein bedrängter
Brite, der im fünften Jahrhundert in einem blauen Färberwaid-Kittel durch die
Gegend sauste – und auch keiner jener nouveaux riches de la Poles, die
allem Anschein nach Malory selber die letzten Lebensjahre vergällt haben.
Arthur war der Herzkönig eines Rittertums, das seine Blüte vielleicht
zweihundert Jahre vor dem Zeitpunkt erlebte, da unser altertümlicher Autor sich
ans Werk machte. Er war die Kennmarke all dessen, was im Mittelalter gut war,
und alles hatte er selbst geschaffen.
Malorys Schilderung zufolge war Arthur von
England der Kämpe einer Zivilisation, die in den Geschichtsbüchern falsch dargestellt
wird. Der Leibeigene der Ritterschaft war kein Sklave, für den es niemals
Hoffnung gab. Er hatte, ganz im Gegenteil, mindestens drei legitime
Möglichkeiten des Aufstiegs, deren größte die katholische Kirche war. Mit Hilfe
von Arthurs Politik war diese Kirche – immer noch die größte aller
Korporationen, die jedem Lernwilligen offensteht – zu einer Durchgangsstraße
für den niedersten Sklaven geworden. Ein Saxen-Bauer wurde als Hadrian IV.
Papst, der Sohn eines Zimmermanns als Gregor VII. In diesem so verachteten
Mittelalter konnte man der größte Mann der Welt werden – allein durch
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