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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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noch taufen ließ – das war
der wirksame Faktor! – , ehe sie ihre Nadeln hineinsteckte. Einer ihrer priesterlichen
Freunde fand sich möglicherweise bereit, die Totenmesse gegen jemanden zu
lesen, den man loswerden wollte, und wenn er zum Requiem aeternum dona ei,
Domine kam, meinte er’s ganz wörtlich, obwohl der Betreffende noch lebte.
Nicht minder weit entfernt, im Westen, unterm selben Abendhimmel, hätte man
Enguerrand de Marigy erblicken können, den Erbauer des Riesengalgens zu
Mountfalcon, wie er an ebendiesem Galgen nun selber moderte und klapperte, da
er der Schwarzen Magie für schuldig befunden worden war. Die Herzöge von Berry
and Brittany, zwei anständige Männer, trotteten irgendwo ihrer Wege und trugen
Atlas-Kürasse, die Stahl vortäuschten.
    Diese beiden hielten nichts von den
Vorteilen der Rüstung, und da sie fanden, daß Atlasseide auf dem Kopf beträchtlich
kühler sei als solch ein Ding aus Metall, waren sie entschlossen, hübsch brav
zu sein. Lanzelot hätte es ihnen gleichtun können. Über ihnen am Bergeshang,
von ihnen unbemerkt, saß vielleicht Joly Joly Wat mit seinem Teerkasten. Er war
die typischste Gestalt in Gramarye, und der Teer war das Antisepticum für seine
Schafe. Wenn man zu ihm gesagt hätte: »Laß das Schiff nicht untergehn wegen
einem halben Pott Teer!«, dann hätte er ohne Zögern zugestimmt – denn er war
es, der das Sprichwort erfunden hat, das wir von Schafen auf Schiffe übertragen
haben.
    Noch weiter weg mochte ein Bankrotteur auf
einem moskowitischen Marktplatz eine kolossale Tracht Prügel bekommen – nicht,
weil man persönlich etwas gegen ihn hatte, sondern weil man die hehre Hoffnung hegte,
daß einer seiner Freunde oder Angehörigen in der Menge sich bereit finde, seine
Schulden aus Mitleid zu bezahlen, wenn er nur laut genug schrie. Mehr gen
Süden, zum Mittelmeerbecken hin, wurde vielleicht ein Matrose wegen Spielens
bestraft, nach einem Gesetz von Richard Löwenherz. Die Strafe bestand darin,
daß er dreimal vom Hauptmast ins Meer geworfen wurde – und bei jeder
Bauchlandung brachen seine Kameraden in Hochrufe aus. Eine weitere sinnreiche
Art der Bestrafung wurde möglicherweise auf dem Marktplatz direkt zu Füßen der
Burg praktiziert: Ein Weinhändler, dessen Ware von schlechter Qualität war,
wurde an den Pranger gestellt und gezwungen, ungeheure Mengen seines eigenen
Gesöffs zu trinken, wonach man ihm den Rest über den Kopf goß. Was für ein
Kater am nächsten Morgen! War man weitherzig genug, mochte man sich am Anblick
der kessen Alisoun ergötzen, wie sie »Ti-Hi!« rief, nachdem sie den ungewohnten
Kuß erhalten hatte, von dem Chaucer berichtet. Ein Schüler, der die Keckheit
und das Glück gehabt hatte, einen Earl of Salisbury mit einer der neumodischen
Kanonen totzuschießen, wurde dort drüben gerade von seinen Mit-Scholaren auf
dem Spielfeld der Klosterschule zum Idol erhoben. Die Pflaumenbäume – wie
Merlins Maulbeerbäume eben erst eingeführt – ließen im Abendlicht am Rand des
Spielfeldes vielleicht gerade ihre Blüten fallen. Ein anderer Knabe, diesmal
ein vierjähriger König von Schottland, übergab betrübt seiner Amme ein
königliches Mandat, das sie ermächtigte, ihn zu verdreschen, ohne sich des Hochverrats
schuldig zu machen. Eine verrufene Armee, die als ausgebildete Bande vom
Schwert gelebt hatte, erbettelte sich ihr Brot von Tür zu Tür – ein Schicksal,
das alle Armeen verdienten – , und einem Manne, der dort im Osten in einer
Kirche Zuflucht gesucht hatte, wurde ein Bein abgeschlagen, weil er einen
halben Schritt vor die Türe tat. Im selben Gotteshaus tummelte sich ein sauberes Sammelsurium von
Fälschern, Dieben, Mördern und Schuldnern, die in der friedvollen
Abgeschiedenheit der Kirche, wo sie nicht verhaftet werden durften, eifrig
drauflos fälschten und die Messer schliffen für ihre nächtlichen Ausflüge. Das
Schlimmste, was ihnen widerfahren konnte, nachdem sie diese Freistatt erst
einmal erreicht hatten, war Verbannung. Dann mußten sie zu Fuß nach Dover
gehen, mußten immer in der Straßenmitte gehen und ihr Kruzifix umklammert
halten – ließen sie es auch nur für einen Augenblick los, so durfte man über
sie herfallen – , und wenn sie beim Hafen ankamen und nicht sogleich ein Schiff
fanden, mußten sie täglich bis zum Hals ins Meer steigen, als Beweis dafür, daß
sie sich ernsthaft Mühe gaben.
    Weiß der Leser, daß es in diesen finsteren
Zeiten, die man von Ginevras Fenster aus

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