Der König auf Camelot
überschauen konnte, so viel Anstand
auf der Welt gab, daß die katholische Kirche allem Kämpfen Einhalt gebieten
konnte – durch The Truce of God, den Waffenstillstand Gottes –, der von
Mittwoch bis Montag dauerte und auch für die ganze Advents- und Fastenzeit
galt? Waren sie mit ihren Schlachten, ihrem Hunger, ihrem Schwarzen Tod und
ihrer Leibeigenschaft weniger aufgeklärt als wir mit unseren Kriegen, unseren
Blockaden, unserer Influenza und unserer Wehrpflicht? Und wenn sie auch so
töricht waren, die Erde für den Mittelpunkt des Universums zu halten – halten
wir selber nicht den Menschen für die Krone der Schöpfung? Wenn es eine Million
Jahre braucht, bis aus einem Fisch ein Reptil wird – hat sich da der Mensch, in
diesen paar Jahrhunderten, bis zur Unkenntlichkeit verändert?
KAPITEL 4
Lanzelot und Ginevra schauten vom Turmfenster
in die Abenddämmerung des Rittertums. Ihre schwarzen Profile standen als
Schattenrisse vor dem sinkenden Licht. Lanzelots, des alten häßlichen Mannes
Silhouette glich der Kontur eines Wasserspeiers. Er hätte, greulich
meditierend, herabblicken können von Notre Dame, der Kirche seiner Zeit.
Gereift, wie es war, wirkte sein Antlitz jedoch edler als früher. Die Züge der
Häßlichkeit hatten sich zu Zügen der Stärke verfestigt. Ihm war, gleich der
Bulldogge, der man oft schändlich tut, ein Gesicht gewachsen, dem die Leute
vertrauen konnten.
Rührend war, daß die beiden sangen. Ihre
Stimmen, die nicht mehr die Fülle jugendlicher Frische hatten, waren noch immer sicher
in der Höhe des Tons. Waren sie auch dünn, so klangen sie doch rein. Sie
stützten einander.
Wenn erst der Maien naht (sang Lanzelot)
Auf lichtem Pfad,
Geht unser Weh –
Kampf furcht ich nimmermehr.
Wenn erst (sang Ginevra),
Wenn erst die Sonn Versinkt in dunklem
Bronn Samt ihrer Pracht, Furcht nimmer ich die Nacht.
Doch ach (sie sangen zusammen),
Doch Tag und Nacht, auch sie, Bialx doux
amis, Nicht ewig dauren an – Sind bald vertan.
Sie hielten inne, mit einem überraschenden
melodischen Schnörkel auf dem Portativ, und Lanzelot sagte: »Eure Stimme ist
gut. Ich fürchte, meine wird allmählich rostig.«
»Ihr solltet keine geistigen Getränke zu
Euch nehmen.«
»Wie unfair, so etwas zu sagen! Seit dem
Gral hab’ ich nahezu enthaltsam gelebt.«
»Nun, mir war’s lieber, wenn Ihr überhaupt
nicht trinken würdet.«
»Dann werd’ ich nicht mehr trinken – nicht
einmal Wasser. Ich werde zu Euern Füßen verdursten, und Arthur wird mir ein
Staatsbegräbnis geben und Euch nie verzeihen.«
»Ja, und ich werde für meine Sünden ins
Kloster gehn und dortselbst glücklich bis ans Ende meiner Tage leben. Was
wollen wir jetzt singen?«
Lanzelot sagte: »Nichts. Ich möchte nicht
singen. Kommt und setzt Euch zu mir, Jenny.«
»Betrübt Euch etwas?«
»Nein. Ich war noch nie so glücklich. Und
ich werde wohl nie wieder so glücklich sein.«
»Weshalb so glücklich?«
»Ich weiß es nicht. Weil’s schließlich
doch noch Frühling geworden ist, und weil der strahlende Sommer vor uns liegt.
Eure Arme werden wieder braun sein – knusprig frisch hier oben, der Ellbogen
rund und rosig. Ich weiß nicht, vielleicht mag ich Euch da am meisten, wo Ihr
Euch biegt – das Innere Eurer Ellbogen.«
Ginevra scheute vor diesen charmanten
Komplimenten zurück;
»Ich möcht’ wissen, was Arthur wohl tut?«
»Arthur besucht die Gawaines, und ich rede
von Euern Ellbogen.«
»Ach ja.«
»Jenny, ich bin glücklich, weil Ihr mich
herumkommandiert. Das ist die Erklärung. Ihr nörgelt, daß ich zuviel trinke.
Ich hab’s gern, wenn Ihr Euch um mich kümmert und mir sagt, was ich tun soll.«
»Ihr scheint’s zu brauchen.«
»Ich brauch’s«, sagte er. Und dann, mit
einer Plötzlichkeit, die beide überraschte: »Darf ich heute abend kommen?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Lanz, fragt bitte nicht. Ihr wißt, daß
Arthur da ist. Es ist viel zu gefährlich.«
»Arthur macht es nichts aus.«
»Sollte Arthur uns erwischen«, sagte sie
im Ton der Vernunft, »müßte er uns töten.«
Er bestritt es.
»Arthur weiß genau Bescheid über uns.
Merlin hat ihn vorgewarnt, mit vielen Worten, und Morgan le Fay hat ihm zweimal
einen deutlichen Wink gegeben, und dann gab’s da den Ärger mit Sir Meliagrance.
Aber er will es nicht zum Eklat kommen lassen. Er wird uns niemals ertappen, es
sei denn, man zwingt ihn dazu.«
»Lanzelot«, sagte sie ärgerlich, »ich
dulde es nicht, daß
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