Der König auf Camelot
Agnes, »die
Tafel beieinander zu halten, indem man Sir Lanzelot bekämpft.«
»Sir Gawaine hat ein Recht auf
Gerechtigkeit. Zumindest sagt man so. Und der König hat ja auch keine freie
Hand. Er wird von den Leuten mitgerissen – von Leuten, die in Frankreich
Eroberungen machen wollen und einen Anspruch darauf erhoben haben, oder die des
langen Friedens überdrüssig sind, den er bewahren konnte, oder die befördert
werden möchten und Rache für das Gemetzel auf dem Marktplatz nehmen wollen. Es
sind die jungen Ritter um Mordred, die an Nationalismus glauben und denen man
eingehämmert hat, daß mein Gemahl ein komischer alter Kauz sei. Und es sind die
Anverwandten derer, die auf der Treppe gekämpft haben. Und es ist der
Orkney-Clan mit seinem uralten Haß. Krieg ist wie Feuer, Agnes. Ein Mann fängt
damit an – und sogleich breitet es sich überall aus. Es braucht dafür nicht
einmal einen besonderen Grund.«
»Ach, diese großen Sachen, Madam – die
sind für uns arme Frauen viel zu hoch. Aber laßt hören. Was stand in dem
Brief?«
Ginevra saß eine Weile ruhig da und
schaute auf den Brief, ohne ihn richtig zu sehen, während sie in Gedanken die
Probleme ihres Gatten erwog. Alsdann sagte sie bedächtig:
»Der König liebt Lanzelot so sehr, daß er
gezwungen ist, ihm gegenüber ungerecht zu sein – aus Angst, anderen Menschen
gegenüber ungerecht sein zu müssen.«
»Ja, Madam.«
»Es heißt hier«, sagte die Königin und
blickte auf den Brief, den sie in der Hand hielt. »Es heißt hier, Sir Gawaine
sei jeden Tag vor die Burg geritten und habe gerufen, daß Lanzelot ein Feigling
sei und ein Verräter. Lanzelots Ritter wurden wütend und gingen einzeln auf ihn
los, aber er hat sie allesamt niedergeritten und ein paar schwer verwundet.
Beinah hätt’ er Bors und Lionel getötet, bis Sir Lanzelot schließlich selber
losgehn mußte. Die Leute in der Burg haben ihn dazu gebracht. Er hat Sir
Gawaine gesagt, er sei dazu gezwungen worden wie ein gestelltes Wild.«
»Und was hat Sir Gawaine gesagt?«
»Sir Gawaine hat gesagt: ›Laßt das
Brabbeln un’ kommt her un’ laßt uns die Herzen erleichtern‹.«
»Und haben sie’s getan?«
»Ja. Sie haben vor der Burg ein Duell
ausgefochten. Alle versprachen, sich nicht einzumischen, und so haben sie in
der Früh um neune angefangen. Du weißt, daß Sir Gawaine morgens immer am besten
kämpfen kann. Deshalb haben sie so zeitig angefangen.«
»Armer Sir Lanzelot! Sein Gegner war da so
stark wie drei! Ich hab’ nämlich sagen hören, die ›Alten‹ hätten Zauberblut in
sich – durch die roten Haare, wißt Ihr, Madam, und dadurch wird der Laird vor
Mittag so stark wie drei Männer in einem, weil die Sonne für ihn kämpft.«
»Es muß entsetzlich gewesen sein, Agnes.
Aber Sir Lanzelot war zu stolz, ihm nicht den Vorteil zu geben.«
»Erstaunlich, daß er nicht getötet wurde.«
»Fast wär’ er’s. Aber er hat sich mit
seinem Schild geschützt und die ganze Zeit ruhig pariert und Boden gegeben. Es
heißt, er habe viele schwere Stöße abbekommen, habe sich jedoch bis Mittag
verteidigen können. Dann, als die Zauberkraft nachließ, ist er in die Offensive
gegangen. Und aufgehört hat’s damit, daß er Gawaine einen Schlag auf den Kopf gegeben
hat, der ihn umwarf. Er konnte nicht mehr aufstehn.«
»O weh!«
»Ja. Er hätt’ ihn an Ort und Stelle töten
können.«
»Hat er aber nicht getan.«
»Nein. Sir Lanzelot ist zurückgetreten und
hat sich auf sein Schwert gestützt. Gawaine hat ihn angefleht, er möge ihn
töten. Er war so wütend wie noch nie und hat gerufen: ›Weshalb hört Ihr auf?
Kommt schon – tötet mich und läßt’s mit Euerm Abschlachten genug sein. Ich
werd’ mich nich’ ergeben. Tötet mich sogleich – denn wenn Ihr mir mein Leben
schenkt, werde ich wieder mit Euch kämpfen.‹ Er hat geweint.«
»Vermutlich«, sagte Agnes, »hat Sir
Lanzelot sich geweigert, einen gestürzten Ritter zu töten.«
»Ja, vermutlich.«
»Er ist immer ein freundlicher, gütiger
Herr gewesen, wenn auch nicht unbedingt eine Schönheit.«
»Er war der Größte von allen.«
Sie schwiegen, aus Scheu vor den eigenen
Gefühlen, und nähten weiter. Dann sagte die Königin:
»Das Licht wird schlecht, Agnes. Meinst
du, wir sollten die Binsendochte anzünden?«
»Gewiß, Madam. Ich hab’ auch schon dran
gedacht.«
Sie entzündete sie am Kaminfeuer und
brummelte über die Rückständigkeit und die nackten Wilden im Norden, die keine
Kerzen hatten,
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