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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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der
Tragödie ist nicht das Stehlen oder Wegnehmen. Jedes Tingeltangel-Girl kann ein
Herz stehlen. Nein, das Geben ist’s, das Dazutun, das Überhäufen, das Zudecken,
das Ersticken – ohne Kissen.
    Desdemona, um Leben oder Ehre gebracht,
ist nichts im Vergleich mit Mordred, der um sich selbst betrogen wurde, seiner
Seele beraubt, erdrückt und ausgedörrt – während die Mutter-Figur im Triumphe
lebt, im Luxus einer Liebe, die ihm die Brust zerquetscht, in aller Unschuld,
wie es scheint, ganz ohne böse Absicht. Mordred war der einzige Sohn von
Orkney, der nicht heiratete. Er war der einzige, der – als seine Brüder nach
England geflohen waren – zwanzig Jahre lang bei ihr blieb: ihr leibhaftiges
Labsal. Nun, da sie tot war, war er zu ihrem Grabe geworden. Sie existierte in
ihm wie ein Vampir. Wenn er sich bewegte, wenn er sich die Nase schneuzte, tat
er’s mit ihren Bewegungen. Wenn er schauspielerte, wurde er so unwirklich, wie
sie’s gewesen war, als sie die reine, für das Einhorn bestimmte Jungfrau mimte.
Er trieb die gleiche magische Pfuscherei, mit der gleichen Grausamkeit. Er
hatte sogar angefangen, sich nach ihrem Vorbild Schoßhunde zu halten – obwohl
er die ihren stets gehaßt hatte, mit derselben bitteren Eifersucht, die ihre
Liebhaber in ihm erregt hatten.
    »Verspüre ich heute abend eine gewisse
Kälte in der Luft?«
    »Im Februar ist’s nun einmal kalt.«
    »Ich spielte auf unsre so delikaten
persönlichen Beziehungen an.«
    »Der Statthalter, den mein Gemahl ernannt
hat, muß der Königin nun mal willkommen sein.«
    »Doch nicht der Bastard des Gemahls, wie
ich vermute?«
    Sie ließ ihre Nadel sinken und blickte ihm
ins Gesicht.
    »Ich versteh’ nicht, was ein solcher
Auftritt soll; und ich weiß nicht, was Ihr wollt.«
    Sie hatte nicht die Absicht, feindselig zu
sein, aber er zwang sie dazu. Sie hatte noch vor niemandem Angst gehabt.
    »Ich hatte ein Schwätzchen über die
politische Lage im Sinn – nur ein kleines Schwätzchen.«
    Sie wußte, daß sie an einen kritischen
Punkt gelangt waren, und das machte sie schwach. Sie war nunmehr zu alt, um
sich mit Irren abzugeben. Sie hatte zwar noch nie an der Gesundheit seines
Geisteszustandes gezweifelt, aber die lästige Ironie seines Tonfalls gab ihr
das Gefühl, als ob sie selber unwirklich wäre – nahm ihr die Fähigkeit, sich
selbst mit einfachen Worten auszudrücken. Doch sie wollte nicht klein beigeben.
    »Ich will Euch gerne zuhören.«
    »Das ist außerordentlich großmütig von
Euch… Jenny.«
    Es war ungeheuerlich. Er bezog sie einfach
in seine Phantastereien ein. Er sprach gar nicht zu einem wirklichen Menschen.
    Indigniert sagte sie: »Würdet Ihr die
Freundlichkeit haben, mich mit meinem Titel anzureden, Mordred?«
    »Gewiß doch. Ich bitte um Vergebung, falls
ich in Lanzelots Revier eingedrungen sein sollte.«
    Der Hohn wirkte wie ein Stärkungsmittel,
ließ sie ganz zu der königlichen Dame werden, die sie war, zur aufrechten
Matrone, deren rheumatische, von Ringen blitzende Finger seit fünfzig Jahren
die Welt am Zügel zu halten vermochten.
    »Ich glaube«, sagte sie sogleich, »das
würde Euch einige Mühe machen.«
    »Oho. Nun, ich hätte es wissen müssen. Ihr
habt schon immer ein paar Härchen auf der Zunge gehabt… Königin Jenny.«
    »Sir Mordred, wenn Ihr Euch nicht wie ein
Gentleman benehmen könnt, werde ich gehn.«
    »Und wohin wollt Ihr gehen?«
    »Ganz gleich – irgendwohin, an einen Ort,
wo eine Frau, die Eure Mutter sein könnte, vor solcher Ungebührlichkeit sicher
ist.«
    »Die Frage ist nur«, bemerkte er
nachdenklich, »wo Ihr sicher wäret? Der Plan dürfte kaum realisierbar sein,
wenn Ihr bedenkt, daß alle gen Frankreich gesegelt sind und daß ich der Regent
des Königreichs bin. Natürlich, Ihr könntet nach Frankreich gehen – wenn Ihr
dorthin gelangen könntet.«
    Sie begriff, oder begann zu begreifen.
    »Ich weiß nicht, was Ihr meint.«
    »Dann müßt Ihr darüber nachdenken.«
    »Wenn Ihr mich entschuldigt«, sagte sie
und erhob sich, »werde ich meine Zofe rufen.«
    »Aber gerne! Tut das. Ich müßte sie
allderdings wieder fortschicken.«
    »Agnes empfängt ihre Orders von mir.«
    »Das bezweifle ich. Wir können’s ja
ausprobieren.«
    »Mordred, wollt Ihr mich jetzt, bitte,
verlassen?«
    »Nein, Jenny«, sagte er. »Ich möchte
bleiben. Aber wenn Ihr Euch für ein Minütchen still hinsetzen wolltet, um mir
zuzuhören, verspreche ich Euch, daß ich mich als perfekter Gentleman

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