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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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durchs dunkle Gewebe, lange nachglimmend, wie ein
Sternschnuppenschweif.
    »Hast du Angst vor Sir Mordred, Agnes?«
    »Ja, Madam. Hab’ ich.«
    »Ich auch. Er schleicht neuerdings so leis
umher. Und er sieht die Menschen so merkwürdig an. Und all diese Reden über
Galen und Saxen und Juden, und das ganze Geschrei und die Hysterie. Vergangene
Woche hab’ ich ihn allein lachen hören, ganz für sich. Es war unheimlich.«
    »Er ist hinterlistig. Vielleicht horcht er
jetzt.«
    »Agnes!«
    Ginevra ließ die Nadel sinken, wie vom
Blitz getroffen.
    »Aber, aber, Madam, Ihr dürft Euch nicht
aufregen. Ich hab’s ja bloß im Scherz gemeint.«
    Die Königin jedoch blieb starr.
    »Geh zur Tür. Ich glaube, du hast recht.«
    »Oh, Madam, das könnt’ ich nie und
nimmer.«
    »Öffne auf der Stelle, Agnes.«
    »Madam, stellt Euch nur vor, er wäre da!«
    Die unheimliche Empfindung war auf sie
übergesprungen. Die kärglichen Binsendochte gaben nicht genug Licht. Er konnte
wirklich im Raum sein, in einem dunklen Winkel. Sie stob auf in flatternder
Unruhe, wie ein Rebhuhn, über dem der Habicht ist, und zupfte an ihrem Rock.
Beiden Frauen war die Burg plötzlich zu düster, zu leer, zu einsam, zu weit im
Norden, zu voll von Nacht und Winter.
    »Wenn du sie aufmachst, geht er fort.«
    »Aber wir müssen ihm Zeit lassen, daß er
fortgehen kann.«
    Sie rangen mit ihren Stimmen, fühlten sich
unter einer schwarzen Schwinge.
    »Stell dich neben sie und sprich laut, eh
du öffnest.«
    »Was soll ich denn sagen, Madam?«
    »Sag: ›Soll ich die Türe öffnen?‹ Dann
werd’ ich sagen: ›Ja, ich glaube, es ist Zeit, zu Bett zu gehn‹.«
    »Ich glaube, es ist Zeit, zu Bett zu
gehn.«
    »Mach schon!«
    »Sehr wohl, Madam. Soll ich anfangen?«
    »Ja, schnell.«
    »Ich weiß nicht, ob ich’s kann.«
    »Ach, Agnes, versuch’s!«
    »Nun wohl, Madam. Ich glaub’, jetzt kann
ich’s.«
    Agnes stellte sich vor die Tür, als könne
sie von ihr angegriffen werden, und sprach sie mit lauter Stimme an.
    »Ich werd’ die Türe öffnen!«
    »Es ist Zeit, zu Bett zu gehn!«
    Nichts geschah.
    Sie drückte auf die Klinke und riß die Tür
auf – und Mordred stand lächelnd auf der Schwelle.
    »Guten Abend, Agnes.«
    »Sir!«
    Das verstörte Weib sackte zusammen, machte
mit zitternden Knien einen Hofknicks, wobei sie sich mit einer Hand an die
Brust faßte, und drückte sich an ihm vorbei zur Treppe. Er ging höflich
beiseite. Als sie verschwunden war, trat er ins Gemach, prunkvoll in schwarzen
Samt gekleidet; im Binsenlicht erglühte ein Diamant auf seinem
Scharlach-Abzeichen. Jeder, der ihn ein oder zwei Monate nicht gesehen hatte,
hätte sofort gemerkt, daß er krank war – sein Geisteszustand hatte sich jedoch
so langsam verschlimmert, daß es niemandem aus seiner Umgebung aufgefallen war.
Hinter ihm kam sein kleiner schwarzer Mops mit funkelnden Augen und geringeltem
Schwanz.
    »Unsere Agnes scheint mit den Nerven
herunter zu sein«, sagte er. »Guten Abend, Ginevra.«
    »Guten Abend, Mordred.«
    »Eine hübsche kleine Handarbeit? Ich
dachte, Ihr würdet Strümpfe für Soldaten stricken.«
    »Weshalb seid Ihr gekommen?«
    »Ich wollt’ nur mal vorbeischaun. Den
Theatercoup müßt Ihr mir verzeihn.«
    »Steht Ihr immer vor Türen herum?«
    »Man muß schon eine Tür benutzen, um
hereinzukommen, Madam. Das ist bequemer, als durchs Fenster zu steigen –
obgleich auch das schon vorgekommen sein soll, wie ich gehört habe.«
    »Ich verstehe. Wollt Ihr Euch setzen?«
    Er ließ sich mit größter Sorgfalt nieder;
der Mops hüpfte ihm auf den Schoß. Den Mann zu beobachten, war irgendwie
traurig, tragisch – denn er tat das, was seine Mutter getan hatte. Er
schauspielerte und hatte aufgehört, wirklich zu sein.
    Man hat Tragödien gedichtet, in denen
unwiderstehliche Blondinen ihre Verehrer umgarnen und in den Abgrund ziehen. Da
bringen Cressidas, Kleopatras, Delilas und manchmal sogar unbotmäßige Töchter
wie Jessica ihre Liebhaber oder Eltern zur Verzweiflung. Aber diese Gestalten
sind nicht der Kern der Tragödie. Flitterkram sind sie – für die Seele des
Mannes. Was bedeutet es schon, wenn Antonius in sein Schwert stürzte? Es tötete
ihn bloß. Der Mutter Lust ist es, nicht die der Geliebten, was den Geist
vergiftet. Das ist es, was die tragische Gestalt zu ihrem Tod verdammt. Jokaste
ist’s, nicht Julia, die in der innersten Kammer haust. Gertrude ist es, nicht
die dümmliche Ophelia, die Hamlet in den Wahnsinn treibt. Der Grund

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