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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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zum
Beispiel, Mordreds Bestreben gewesen, Englands Mannen künftig in Unterröcken
marschieren oder auf dem Kopf stehen zu lassen, dann hätten sie sich doch
sicherlich nicht seiner Partei angeschlossen – so clever oder überzeugend,
hinterlistig oder gar einschüchternd seine Bemühungen auch sein mochten? Ein
Führer war doch wohl gezwungen, denen, die er führte, etwas Ansprechendes zu
bieten? Er konnte dem wankenden Gebäude den letzten Stoß geben – aber es mußte
ohnehin schon baufällig gewesen sein, wenn es daraufhin zusammenkrachte. Traf
dies zu, dann waren Kriege keine Kalamitäten, in die liebenswerte
Unschuldslämmlein von bösen Männern hineingetrieben wurden. Kriege waren also
Phantasiebewegungen von dunklerer, tieferer Art, deren Anlaß nicht so leicht zu
ergründen war. Und es kam ihm wirklich nicht so vor, als hätten er oder Mordred
ihr Land ins Elend geführt. Wäre es so einfach gewesen, sein Volk in diese oder
jene Richtung zu führen, wie ein Schwein am Strick, dann hätte es ihm doch
gelingen müssen, es zur Ritterlichkeit zu führen, zur Gerechtigkeit und zum
Frieden? Versucht hatte er’s.
    Andersherum gefragt – dies war der zweite
Kreis, dem Inferno ähnlich –: wenn weder er noch Mordred das Elend ausgelöst
hatten – wer oder was war die Ursache? Wie begann gemeinhin ein Krieg? Jeder
Krieg schien aus einem vorangegangenen zu erwachsen. Mordred ging zurück auf
Morgause, Morgause auf Uther Pendragon, Uther auf seine Vorfahren. Es war so,
als hätte Kain seinen Bruder Abel erschlagen und dessen Land an sich gerissen,
wonach Abels Mannen versucht hatten, ihr väterliches Erbteil für immer
zurückzugewinnen. Und so war es weitergegangen, durch die Jahrhunderte und
Jahrtausende; Übles wurde mit Üblem gerächt, Gemetzel mit Gemetzel. Niemand
hatte etwas davon, da stets beide Seiten litten, und doch kam keiner aus dem
Teufelskreis heraus. Der gegenwärtige Krieg mochte Mordred oder ihm selber
angelastet werden, gleichzeitig jedoch waren Millionen ›Schläger‹ daran schuld,
Lanzelot, Ginevra, Gawaine – jedermann. Wer durchs Schwert lebte, würde
zwangsläufig durchs Schwert umkommen. Es war, als führe alles ins Leid, solange
man nicht bereit war, das Vergangene zu vergessen. Das Unrecht von Uther und
das Unrecht von Kain war ein Unrecht, das nur durch den Segen des Vergessens
hätte in Ordnung gebracht werden können.
    Schwestern, Mütter, Großmütter – alles war
in der Vergangenheit verwurzelt. Handlungen dieser oder jener Art in der einen
Generation konnten unvorhersehbare Folgen in der nächsten haben. Man brauchte
nur zu niesen, und es war wie ein Kiesel, der in einen Teich geworfen wird –
die entstehenden Wellenkreise konnten die fernsten Ufer überfluten. Es schien,
als bestehe die einzige Hoffnung darin, überhaupt nicht zu handeln, kein
Schwert für irgend etwas zu ziehen, sich still zu verhalten – wie ein
nichtgeworfener Kieselstein. Das aber wäre abscheulich.
    Was war Recht, was war Unrecht? Was
unterschied Tun von Nicht-Tun? Hätte ich meine Zeit noch einmal zu leben,
dachte der alte König, würde ich mich in ein Kloster begeben – aus Angst vor
einem Tun, das vielleicht zu Leid und Weh führen könnte.
    Der Segen des Vergessens: das war die
erste Voraussetzung. Wenn alles, was man tat, oder was die Väter getan hatten,
eine endlose Folge von Taten war, die blutig weitergingen, dann mußte die
Vergangenheit ausgelöscht und ein neuer Anfang gemacht werden. Der Mensch mußte
bereit sein zu sagen: Ja, seit Kain hat es Ungerechtigkeit gegeben, aber wir
können das Elend nur bereinigen, wenn wir einen Status quo akzeptieren.
Länder sind geplündert worden, Menschen erschlagen, Nationen gedemütigt. Laßt
uns jetzt von neuem beginnen, ohne Erinnerung, statt gleichzeitig vorwärts und
rückwärts zu leben. Wir können die Zukunft nicht bauen, indem wir das
Vergangene rächen. Laßt uns niedersitzen als Brüder und den Frieden Gottes
annehmen.
    Unglücklicherweise sagten Menschen dies
tatsächlich – in jedem der aufeinanderfolgenden Kriege. Stets sagten sie, der
gegenwärtige sei der letzte, und danach werde der Himmel auf Erden sein. Immer
wollten sie solch eine neue Welt aufbauen, wie es sie noch nie gegeben hatte.
Wenn jedoch die Zeit kam, waren sie zu dumm dafür. Wie Kinder schrien sie, daß
sie ein Haus erbauen wollten – wenn’s aber ans Bauen ging, wußten sie nicht,
was zu machen war, welches Material sie benutzen mußten.
    Die Gedanken des alten

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