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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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Unrecht wiedergutzumachen – die
Privatmacht der Barone zu brechen, wie er die Macht der Könige gebrochen. Dies
hatten sie getan – bis endlich, im Lauf der Zeit, die Ziele erreicht werden
konnten, die Gewalt aber noch immer ungeläutert um ihn war. Also hatte er einen
neuen Kanal erdacht, hatte sie mit einem geistlichen Geschäft betraut, sie auf
die Suche nach dem Heiligen Gral geschickt. Aber auch das war ein Fehlschlag
gewesen, weil diejenigen, die den Sinn der Heilsfahrt erlangt hatten,
vollkommen geworden und so der Welt verlorengegangen waren, während die anderen, die versagt
hatten, alsbald zurückgekehrt waren – kein Haar besser denn zuvor. Schließlich
hatte er sich bemüht, die Gewalt, wie sie nun mal war, gleichsam kartographisch
zu erfassen, um sie dann durch Gesetze zu bändigen. Er hatte versucht, die
Formen individuellen Machtmißbrauchs zu kodifizieren, so daß er ihm mit der
unpersönlichen Rechtsprechung des Staates Schranken setzen konnte. Er war
bereit gewesen, seine Frau und seinen besten Freund der Unpersönlichkeit
staatlicher Rechtsordnung zu opfern. Und dann, als die Macht des Einzelnen eben
an die Kandare genommen zu sein schien, war das Machtprinzip in anderer Gestalt
hinter seinem Rücken wieder aufgestanden: in Gestalt der kollektiven Macht, der
organisierten Bandenwut, der zahlreichen Armeen, denen mit Gesetzen, die sich
auf Individuen bezogen, nicht zu begegnen war. Er hatte die Macht des Einzelnen
gebändigt und entdeckte nun, daß Mehrheiten sie an sich gerissen hatten. Den
Mord hatte er bezwungen, und jetzt sah er sich Kriegen gegenüber. Dafür gab’s
keine Gesetze.
    Die Kriege seiner frühen Jahre, die gegen
Lot und den Diktator von Rom, hatte er geführt, um dem Adel endgültig die Lust
am konventionellen Feudalkriegsspiel zu verderben, um den militärischen Fuchsjagdstil,
den blutigen Poker um Lösegeld ein für allemal zu erledigen. Für diesen Zweck
hatte er die Idee des totalen Krieges entwickelt. Jetzt, da er alt war, kam
eben dieser totale Krieg zurück als totaler Haß, als die modernste Form der
Feindseligkeit.
    Die Stirn auf die Papiere gelegt, die
Augen geschlossen, versuchte der König nun, dem Erkennen auszuweichen. Denn
wenn es etwas wie Ursünde gab, wenn der Mensch insgesamt ein Schurke war, wenn
die Bibel recht hatte mit ihrer Behauptung, daß die Herzen der Menschen
unsäglich trügerisch und grauenhaft verderbt seien – dann war der Zweck des
Lebens eitel gewesen. Ritterlichkeit und Gerechtigkeit wurden zu kindlichen
Illusionen, wenn der Stamm, auf den er sie hatte pfropfen wollen, der
›Schläger‹ war, der homo ferox, nicht der homo sapiens.
    Hinter diesem Gedanken lauerte ein noch
schlimmerer, mit dem er sich nicht einzulassen wagte. Vielleicht war der Mensch
weder gut noch böse, sondern nur eine Maschine in einem empfindungslosen
Universum – war sein Mut nur ein Reflex auf Gefahr, wie das automatische
Aufspringen bei einem Nadelstich. Vielleicht gab es keine Tugenden; es sei
denn, das Aufspringen bei Nadelstichen sei eine Tugend – und Menschlichkeit nur
ein mechanischer Esel, den die eiserne Möhre der Liebe weiter und weiter
trotten heißt, immer im Kreis, in der sinnlosen Tretmühle der Fortpflanzung von
Generation zu Generation. Vielleicht war die Macht ein Naturgesetz –
erforderlich, um die Überlebenden fit zu halten. Vielleicht ihn selber.
    Aber er konnte sie nicht länger
herausfordern. Er hatte das Gefühl, als sei zwischen seinen Augen etwas
geschrumpft, abgestorben, dort, wo die Nasenwurzel in den Schädel wächst. Er
konnte nicht schlafen. Er hatte üble Träume. Morgen war die entscheidende
Schlacht. Bis dahin mußten all diese Papiere gelesen und unterzeichnet werden.
Aber er konnte sie weder lesen noch unterschreiben. Er konnte den Kopf nicht
vom Pult heben.
    Weshalb kämpften die Menschen
gegeneinander?
    Der alte Mann war schon immer ein Denker
aus Pflichtgefühl gewesen, nie ein inspirierter Kopf. Jetzt glitt sein
erschöpftes Hirn in die gewohnten Kreise: die ausgetretene Bahn, gleich der des
Esels am Göpel, wo er vergebens Runde um Runde gedreht hatte, vieltausendmal.
    Waren die bösen Anführer schuld, die
arglose Völkerschaften ins Gemetzel führten, oder lag’s an der Bosheit von
Menschenmassen, die sich Anführer nach ihrem Herzen aussuchten? Auf den ersten
Blick schien es unglaubhaft, daß es einem einzelnen Führer möglich sein sollte,
eine Million Engländer gegen ihren Willen zu etwas zu zwingen. Wäre es,

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