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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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jede zweite Reihe ab«, sagte der
Zauberer, »aber irgendwie wird der Übergang zu schroff. Wie bei einer Zwiebel.
Verzwickt, dieses Maschen-Aufnehmen und -Fallenlassen und so.«
    »Ich glaube, ich sollt’ mich ein bißchen auswilden
lassen«, sagte Wart. »Ich weiß nicht, was ich sonst tun könnte.«
    »Ach, du meinst, Ausbildung, Bildung sei etwas, das
man tun kann, wenn man zu nichts anderem Lust hat?« erkundigte sich Merlin
unwirsch, denn er war gleichfalls übler Laune.
    »Na ja«, sagte Wart, »vielleicht könnt’ ich irgend
etwas lernen.«
    »Von mir?« fragte der Magier mit blitzenden Augen.
    »Ach, Merlin«, sagte Wart, ohne darauf einzugehen,
»gebt mir doch bitte irgendwas zu tun. Ich fühl’ mich richtig scheußlich.
Niemand hat heute Zeit für mich, und ich weiß einfach nicht, was ich anfangen
soll. Es regnet so doll.«
    »Du solltest stricken lernen.«
    »Könnt’ ich nicht rausgehn und etwas sein, ein
Fisch oder sonst was?«
    »Ein Fisch bist du schon gewesen«, sagte Merlin.
»Kein Mensch mit etwas Grips braucht etwas zweimal zu lernen.«
    »Dann könnt’ ich vielleicht ein Vogel sein?«
    »Wenn du auch nur eine kleine Ahnung hättest«,
sagte Merlin, »was nicht der Fall ist, dann wüßtest du, daß kein Vogel gern im
Regen fliegt, weil dann die Federn naß werden und zusammenkleben. Da wird er
schmuddelig.«
    »Ich könnt’ ein Falke in Hobs Vogelhaus sein«,
sagte Wart beharrlich. »Dann war’ ich drinnen und würd’ nicht naß.«
    »Das ist aber ziemlich anspruchsvoll«, sagte der
alte Mann, »ein Falke sein zu wollen.«
    »Ihr könntet mich sofort in einen Falken
verwandeln, wenn Ihr bloß wolltet«, rief Wart. »Aber es macht Euch Spaß, mich
zu quälen, weil’s regnet. Das laß ich mir nicht gefallen.«
    »Potztausend!«
    »Lieber Merlin«, sagte Wart, »bitte: verwandelt
mich in einen Falken. Wenn Ihr das nicht tut, dann tu ich was. Ich weiß nicht,
was.«
    Merlin ließ sein Strickzeug sinken und blickte
seinen Schüler über den Rand seiner Brille hinweg an. »Mein Junge«, sagte er,
»du sollst alles sein, was es gibt – Tier, Pflanze, Gestein, Virus oder
Bazillus: mir ist’s einerlei. Ich habe noch viel mit dir vor. Aber du wirst
dich meiner Rück-Sicht anvertrauen müssen. Die Zeit ist noch nicht reif, daß du
ein Falke bist – abgesehen davon, daß Hob noch im Vogelhaus ist und sie füttert
–, also setz dich erstmal hin und lerne, ein Mensch zu sein.«
    »Na gut«, sagte Wart, »wenn’s denn sein muß.« Und
er setzte sich.
    Nach einigen Minuten sagte er: »Ist einem als
Mensch das Sprechen erlaubt, oder gilt die Devise: gesehn werden, aber nicht
gehört?«
    »Jedermann darf sprechen.«
    »Das ist gut, denn ich wollt’ erwähnen, daß Ihr
jetzt schon seit drei Reihen Euern Bart in die Nachtmütze reinstrickt.«
    »Da soll aber doch gleich…«
    »Das beste wär’ wohl, Ihr würdet die Spitze Eures
Bartes abschneiden. Soll ich eine Schere holen?«
    »Warum hast du’s mir nicht gleich gesagt?«
    »Ich wollte sehn, was passiert.«
    »Da bist du aber ein großes Risiko eingegangen,
mein Junge«, sagte der Zauberer. »Um ein Haar wärst du in ein Stück Brot
verwandelt und getoastet worden.«
    Hiermit begann er langsam seinen Bart aus der
Strickerei zu lösen, wobei er vor sich hin murmelte und darauf achtete, keine
Masche fallenzulassen.
    »Ist das Fliegen so schwierig wie Schwimmen?«
fragte Wart, als er meinte, daß sein Lehrer sich beruhigt hatte.
    »Du brauchst nicht zu fliegen. Ich habe nicht die
Absicht, dich in einen freifliegenden Falken zu verwandeln – du kommst nur über
Nacht ins Vogelhaus, damit du dich mit den anderen unterhalten kannst. So lernt
man: indem man den Experten lauscht.«
    »Werden sie denn sprechen?«
    »Sie sprechen jede Nacht bis tief in die
Dunkelheit. Sie erzählen, wie sie gefangen worden sind und was sie noch von
früher wissen: von ihrer Abstammung und den großen Taten ihrer Vorfahren, von
ihrer Abrichtung und von dem, was sie gelernt haben und was sie noch lernen
werden. Im Grunde ist’s eine militärische Konversation, so ähnlich wie in der
Offiziersmesse eines Kavallerieregiments: Taktik, leichte Waffen,
Instandhaltung, Wetten, berühmte Jagden, Wein, Weib und Gesang. – Ein weiteres
Gesprächsthema«, fuhr er fort, »ist die Atzung. Das ist ein deprimierender
Gedanke, aber sie werden nun einmal durch Hunger abgerichtet. Sie sind ein
ausgehungerter Haufe, diese armen Kerls; sie denken bloß an die besten
Restaurants, die sie

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