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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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einmal in
den Krallen hat, kommst du bei lebendigem Leibe nicht mehr raus. Bedenke, daß
du in einer Art spartanischer Offiziersmesse zu Gast bist. Diese Leutchen sind
Berufssoldaten. Als junger Subalterner hast du den Mund zu halten, nur zu
sprechen, wenn man das Wort an dich richtet, und nie zu unterbrechen.«
    »Ich wette, ich bin mehr als ein Subalterner«,
sagte Wart, »wenn ich ein Merlin bin.«
    »Na ja, schön, bist du ja auch. Du wirst
feststellen, daß sich der Turmfalke und der Sperber dir gegenüber zuvorkommend
benehmen – um des himmlischen Himmels willen aber unterbrich nicht die älteren
Merline oder die Falkin. Sie ist der Ehrenobrist des Regiments. Und Cully –
tja, der ist auch Obrist, wenn auch in der Infanterie, also hüte deine Zunge.«
    »Ich werd’ mich vorsehn«, sagte Wart, dem ein wenig
bänglich wurde.
    »Gut. Ich hole dich morgen früh ab, ehe Hob kommt.«
    Alle Falken waren stumm, als Merlin ihren neuen Gefährten
ins Vogelhaus trug, und sie blieben für eine ganze Weile stumm, nachdem er
gegangen war. Der Regen war einem vollen August-Mond gewichen, und draußen war
es so hell, daß man fünfzehn Schritte entfernt eine haarige Bärenraupe sehen
konnte, die an dem rauhen Sandstein des Bergfrieds emporkroch, höher und immer
höher. Warts Augen gewöhnten sich sehr bald an die diffuse Helligkeit im Innern
des Hauses. Die Dunkelheit durchsetzte sich mit Licht, lockerte sich strahlend
auf, und endlich bot sich ihm ein unheimlicher Anblick. Jeder Falke stand im
Silberschein auf einem Bein und hatte das andere unter sein Gefieder gefaltet,
und jeder bildete die reglose Gestalt eines Ritters in voller Rüstung. Ernst
standen sie da, in ihren federgekrönten Helmen, gewappnet und gespornt. Die
Sichtblenden aus Sackleinwand zwischen ihren Sitzstangen bewegten sich im
Luftzug wie Banner in einer Kapelle, und die Ritter oblagen ihrer Nachtwache in
ehrwürdiger Geduld. Dazumal setzte man allem und jedem eine Haube auf, sogar
dem Habicht und dem Merlin (oder Zwergfalken) – von welchem Brauch man heute
längst abgekommen ist.
    Wart verschlug es den Atem, als er all dieser
stattlichen Gestalten ansichtig wurde, die so still dastanden, daß sie wie aus
Stein gemeißelt wirkten. Er war von ihrer Großartigkeit überwältigt, und es
hätte des Hinweises von Merlin nicht bedurft, daß er sich zurückhaltend zu benehmen
und gesittet aufzuführen habe.
    Alsdann klingelte ein Glöckchen. Der große
Peregrin, der Wanderfalke, hatte sich gerührt und sagte nun mit hoher nasaler
Stimme, die ihm aus der aristokratischen Nase drang: »Meine Herren, es ist
gestattet, sich zu unterhalten.«
    Betretenes Schweigen herrschte.
    Nur in der entfernten Ecke des Raumes, die für
Cully abgeteilt war – er hockte dort ohne Kette, ohne Haube, mitten in der
Mauser – , hörte man ein mattes Murmeln des cholerischen Infanterie-Obristen.
»Verdammte Nigger«, brummelte er. »Verdammte Administration. Verdammte
Politiker. Verdammte Bolschewiken. Ist das ein verdammter Dolch, den ich da vor
mir sehe, handlich und griffbereit? Verdammt. Cully, nur eine kurze Stunde Lebens
bleibt dir – dann ewige Verdammnis.«
    »Obrist«, sagte der Peregrin kalt, »nicht vor den
jüngeren Offizieren.«
    »Ich bitte untertänigst um Verzeihung«, sagte der
arme Obrist sofort. »Es kommt mich halt an, wissen Sie. Düstere Verdammnis.«
    Wieder Schweigen. Förmlich, schrecklich, steif und
still.
    »Wer ist der neue Offizier?« erkundigte sich die
erste gestrenge und schöne Stimme.
    Niemand gab Antwort.
    »Stellen Sie sich vor«, befahl der Peregrin und
blickte starr vor sich hin, als rede er im Schlaf.
    Da sie ihre Hauben trugen, konnten sie ihn nicht
sehen.
    »Bitte«, begann Wart, »ich bin ein Merlin…«
    Die Stille ängstigte ihn – er hielt inne.
    Balan, einer der richtigen Merline, stand neben ihm
und flüsterte ihm freundlich ins Ohr: »Haben Sie keine Angst, nennen Sie ihn
Madame.«
    »Ich bin ein Merlin, Madame, zu Diensten.«
    »Ein Merlin. Das ist gut. Und von welchem Zweig der
Merlins leiten Sie sich her?«
    Wart hatte nicht die mindeste Ahnung, von welchem
Zweig er sich herleitete, wollte sich indes keine Blöße geben.
    »Madame«, sagte er, »ich gehöre zu den Merlins des
Forest Sauvage.«
    Hierauf herrschte wieder Schweigen, dieses silbrige
Schweigen, das ihm mittlerweile Furcht einflößte.
    »Wir haben die Yorkshire Merlins«, sagte die
Ehrenobristin endlich mit bedächtiger Stimme, »und die Welsh Merlins, und

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