Der König auf Camelot
worüber er nachdenken
wollte. Sein Gesicht mit den überdachten Augen sah nicht mehr aus wie das des
Jungen vor langer Zeit. Er wirkte müde und war der König; deshalb beobachteten
ihn die anderen ernst, mit Besorgnis und Mitleid.
Er wußte, sie waren rechtschaffen und
gütig. Ihre Achtung bedeutete ihm viel. Aber ihr Problem war nicht das der
Menschen. Sie hatten ihre sozialen Fragen gelöst, bevor seine Menschen
überhaupt auf der Erde waren, deshalb taten sie recht daran, in ihrem
fröhlichen Lebenskolleg weise Betrachtungen zu pflegen. Sie hatten es leichter
mit ihrem Wohlwollen bei Wein und Kaminfeuer und gegenseitiger Fürsorge, als
er, ihr Werkzeug, esmit seiner traurigen Arbeit hatte.
Mit geschlossenen Augen glitt der alte
König zurück in die wirkliche Welt, aus der er gekommen war: Seine Frau war
entführt, sein bester Freund verbannt, seine Neffen erschlagen, und sein Sohn
griff nach seiner Kehle. Das Schlimmste war das Unpersönliche: daß alle seine
Mitmenschen in die Sache verstrickt waren. Es stimmte tatsächlich, daß der
Mensch grausam war, wie die Tiere gesagt hatten. Sie konnten es abstrakt sagen,
sogar mit einem gewissen dialektischen Vergnügen, aber für ihn war es konkret:
Er mußte unter Rohlingen aus Fleisch und Blut leben. Er selbst war einer von
ihnen, bösartig und töricht wie sie und mit ihnen verbunden durch das seltsame
Kontinuum des menschlichen Bewußtseins. Er war Engländer, und England befand
sich im Krieg. So sehr er ihn auch haßte oder ihn zu beendigen wünschte: Er war
umgeben von
einem wirklichen, aber nicht greifbaren Meer englischer Gefühle, die er nicht
beherrschen konnte. Sich dagegen zu wehren, mit diesem Meer zu kämpfen, war
mehr, als er wieder auf sich nehmen konnte.
Und er hatte sein Leben lang gearbeitet.
Er wußte, daß er kein kluger Mann war. Geleitet vom Bewußtsein des alten
Wissenschaftlers, der jung seine Seele geprägt hatte, gequält und geplagt,
beladen wie Sindbad, von sich selbst entfernt und rücksichtslos einem
abstrakten Dienst geweiht, hatte er schon länger für die schwarze Kunst
geschuftet, als er zurückdenken konnte. Er hatte noch nicht einmal alles
verstanden, was er tat, wie ein Lasttier, das an den Strängen zerrt. Und immer,
das erkannte er jetzt, war Merlin hinter ihm gewesen – dieser sehr
erbarmungslose alte Gläubige – und vor ihm der Mensch: grausam, dumm,
unpolitisch.
Sie wollten, das erkannte er jetzt, daß er
sich wieder an die Arbeit machte: daß er noch härter arbeitete und noch mehr.
Gerade als er aufgegeben hatte, gerade als er in Tränen und besiegt gewesen
war, gerade als der alte Ochse unterm Joch gefallen war, da waren sie wieder
gekommen, um ihn auf die Füße zu stellen. Sie wollten ihn eine weitere Lektion
lehren und ihn wieder auf den Weg schicken. Aber er hatte nie ein eigenes Glück
gehabt und nie sich selbst – nie, seit er ein kleiner Junge im Forest Sauvage
gewesen war. Ihm alles zu nehmen, war nicht fair. Sie hatten ihn zu einem der
geblendeten Goldfinken gemacht, von denen sie sprachen, der, immer blind, sein
Lied für den Menschen verströmte, bis ihm das Herz brach.
Jetzt, da sie ihn verjüngt hatten, spürte
er die ungeheure Schönheit der Welt, die sie ihm versagten. Er wollte ein wenig
Leben haben; auf der Erde liegen und sie riechen; zum Himmel aufschauen wie anthropos und sich in den Wolken verlieren. Er wußte plötzlich, daß keiner, und wenn
er auf der abgelegensten, ödesten Klippe im Ozean lebte, sich über eine langweilige Landschaft
beklagen konnte, solange er die Augen hob. Am Himmel war jede Minute eine neue
Landschaft, in jeder Pfütze der Meeresfelsen war eine neue Welt. Er wünschte
sich Urlaub zum leben. Er wollte nicht zurückgeschickt werden, um mit gesenkten
Augen unter dem schrecklichen Joch zu ziehen. Er war selbst jetzt noch nicht
wirklich alt. Vielleicht konnte er noch zehn Jahre leben – aber Jahre in der
Sonne, Jahre ohne Lasten, Jahre, in denen die Vögel sangen, wie sie es
zweifellos immer noch taten, obwohl er sie nicht mehr beachtet hatte, bis die
Tiere ihn daran erinnerten. Warum mußte er zurück zu Homo ferox, wahrscheinlich,
um von denen getötet zu werden, denen er helfen wollte, und wenn nicht, um in
den Sielen zu sterben – wenn er die Arbeit niederlegen konnte? Jetzt könnte er
direkt aus dem Grabhügel hinausgehen und nie mehr gesehen werden. Die Mönche
der Thebaide, die frühen Heiligen auf Skellig Michael – diese Glücklichen waren
vor dem Menschen in
Weitere Kostenlose Bücher